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Zelle Asphaltkultur
© Jochen Tack, Stiftung Zollverein

Urban Anarchy – in Fraktur

28. Mai 2014

Die anonymen Künstler der Gruppe „Zelle Asphaltkultur“ auf Zollverein in Essen – Kunstwandel 06/14

Einer der spannendsten Interventionen des öffentlichen Raumes war im letzten Jahr zu sehen, wenn man mit der S-Bahn durchs Revier cruiste. Irgendwann fällt ein kleines Schild auf: „Verhaltet Euch Ruhig“ in Frakturschrift. Klar der Satz hat politischen Inhalt, doch irgendwie korrespondiert die Melange aus Typologie und Inhalt nicht mit der aktuellen gesellschaftspolitischen Hierarchie. Oder doch? Jedenfalls lässt sich im vorüberzuckeln nicht erkennen, ob es sich um ein vergessenes Artefakt oder was überhaupt handelt. Die Aussage bleibt haften. Sie entwickelt in den Ganglien ein Eigenleben: Urheber, Statement, Gruppe, Kunst? Die überaus gelungene und immer noch andauernde Intervention in meinen Kopf ist jetzt auf der Zeche Zollverein in Essen zu sehen. Als Teil einer Ausstellung über die anonyme Gruppe „Zelle Asphaltkultur“. Die kleine sehenswerte Schau heißt „Wir stehen bereit“ und zeigt am Schacht XII in der Halle 8 neben neuen Werken auch Dokumentationen der Arbeiten aus dem internationalen urbanen Raum.

Der Titelspruch ist auch das Erste was man beim Betreten zu Gesicht bekommt. Fett steht er auf der Wand, füllt den ziemlich leeren Raum locker, und doch könnte so etwas wie Enttäuschung entstehen. Graffiti, schön bunt, ein paar Tags hier und da, wer mit diesem Anspruch kommt, wird eines Besseren belehrt. Ja, es gibt sie noch die allgemeingültigen politischen Statements und sie sind traditionelle Kunst im öffentlichen Raum – zugegeben nicht legal, aber das ginge auch gar nicht, die Zielrichtung würde in Dekoration zerfließen, die Okkupation derer, die diese Haltungen verursachen, würde die Aussagen schneller durchweichen, als es die allgegenwärtige Witterung schaffen könnte.

Schauen wir im Weltkulturerbe hinter die weiß getünchten Wände entdecken wir den Venedig-Raum. Fotografien bemalter Fahrzeuge an den Wänden, pseudobarocke Ausstattung und ein Video-Tryptichon aus der mit Kunst vollgestopften Dogenstadt. Hier sieht man zur Biennale-Zeit die Vaporettos (Wasserbusse) auf den Kanälen vorübergleiten und bemerkt die großflächigen Arbeiten auf den Flanken, ein antiker Stier und „Passion for Glory“ Schriftzug, nicht in Fraktur, obwohl das in Italien ja auch seine Historie hätte. Nirgendwo wird eine direkte Urheberschaft kenntlich gemacht. Statement? Haltung? Kulturkritik, die ihre Arbeiten den Marktmechanismen entziehen will? Zelle Asphaltkultur behauptet dies, und es lässt sich nicht widerlegen. Die Künstler verbleiben in strikter Anonymität unter dem jeweils gewählten Pseudonym. Sie sind kein Teil der modischen Graffiti- oder Streetart-Szene. Hier arbeitet eine ernstzunehmende anarchische Malerei-Zelle als Virus im pulsierenden Kultur-Organismus.

Die Ausstellung zeigt ein großes Spektrum an Arbeiten der „Zelle Asphaltkultur“, die im Laufe der letzten Jahre entstanden sind. Die Wahl der Medien reicht dabei von Fotos und Videos über Installationen bis zu Drucken, Collagen und Gemälden sowie „Arbeitsutensilien“ in der Glasvitrine. Zitiert werden natürlich auch internationale Zusammenhänge wie die sibirische Monstrationsbewegung von Artjom Loskutow und Mariya Kiselyova.

Zelle Asphaltkultur: „Wir stehen bereit“ – Grenzüberschreitung, urbane Intervention und ungenehmigte Malerei | bis 29.6. | Zeche Zollverein, Essen | 0201 24 68 10

PETER ORTMANN

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