Dass Bücher zu Filmen werden, ist nicht ungewöhnlich. Gute Bücher können zu schlechten Filmen werden, schlechte Bücher jedoch nur selten zu guten Filmen. Bei der Verfilmung eines guten Buches stellt sich immer wieder die Frage, ob die Bilder, die der Regisseur wählt, dem Buch gerecht werden, ob den Schauspielern die Verkörperung der Figuren gelingt. Das traditionelle „Buch zum Film“ hingegen ist meist nur eine hastige Nacherzählung der Drehbücher von Filmerfolgen, der Versuch, auf der Erfolgswelle eines Filmes mitzureiten. Und so zögerte Cornelia Funke auch, als ihr von Regisseur Guillermo del Toro persönlich die Frage gestellt wurde, ob sie seinen oscarprämierten Fantasy-Streifen „Pans Labyrinth“ (2007) in eine literarische Form gießen könnte. Ausgerechnet „Pans Labyrinth“, ihren Lieblingsfilm, dessen Poster seit Jahren ihr Schreibhaus ziert. Eine große Ehre – aber auch eine große Bürde. Als Illustratorin, so bekennt sie, wisse sie um die Kraft, die Bilder entfalten können – und die Bilder in diesem Film seien so großartig und so perfekt, dass sie sich nicht vorstellen konnte, wie Worte ihnen gerecht werden sollten. Doch die Autorin besann sich der alten Märchenregel, dass man zu magischen Aufgaben nicht nein sagen darf. Und was daraus entstanden ist, darf man getrost als literarische Magie bezeichnen.
Keine Szene hat Cornelia Funke verändert, keinen Dialog gekürzt. Sie formt die phantastischen Bildwelten des Films mit Worten nach und bereichert die Charaktere um eine Gefühls- und Gedankenwelt. Vor allem aber fügt sie der bekannten Filmgeschichte zehn märchenhafte Episoden hinzu, „Interludes“, die einige lose Fäden der Filmhandlung zusammenfügen und wiederum für sich ein neues Labyrinth bilden.
Nur für wenige Termine kommt die in Kalifornien lebende Autorin nach Deutschland und die Lit.Ruhr nutzt die Lesereise, um weit vor dem eigentlichen Start des Festivals bereits einen ersten Höhepunkt präsentieren zu können. Im wunderschönen Essener Astra-Kino mit seinem 50er Jahre Charme stellt Cornelia Funke gemeinsam mit „ihrem“ langjährigen Hörbuchsprecher Rainer Strecker den Roman vor. Das eingespielte Team macht die Lesung zu einem wahren Hörerlebnis. Unterstützt von dezent eingesetzten akustischen Effekten und Musik führen die Stimmen der beiden Vortragenden tief in das Labyrinth hinein, können die Zuhörer die Begegnung der jungen Heldin mit dem Faun verfolgen. Rainer Strecker schlüpft überzeugend in die unterschiedlichen Rollen, sein Faun knarzt und seine Kröte trägt den Schleim bereits in der Stimmlage. Doch auch Cornelia Funkes Stimme – im Wechselspiel mit Strecker – lauscht man mit großem Genuss.
Der wahre Höhepunkt jedoch – und wer schon einmal das Vergnügen hatte, Cornelia Funke live zu erleben, wird dies bestätigen können – ist der Moment, in dem die Autorin mit dem Publikum ins Gespräch kommt. Sie steht von ihrem Stuhl auf, schirmt mit der Hand den Blick gegen das Bühnenlicht ab und stellt sich den Fragen großer und kleiner Fans. Dabei wirkt sie so grundsympathisch und nahbar, dass nach anfänglichem Zögern immer mehr Zuschauer an die bereitstehenden Mikrophone treten. Munter und offen beantwortet sie Fragen zu ihrem Leben und Schreiben und auch die oft gestellte Frage nach dem persönlichen Liebling unter ihren Büchern beantwortet sie geduldig und souverän. Im Gespräch mit der Moderatorin Katty Salié erzählt sie zudem äußerst lebendig die Entstehungsgeschichte des Romans, von ihrer Bewunderung für Film und Regisseur über erstes Zögern („Ich war mir sicher, dass das mein schlechtestes Buch werden würde und dass kein Mensch das je lesen wollen würde“) bis hin zum Schreibfluss, der sie in diesem Fall geradezu magisch überwältigte („Zum ersten Mal wusste ich von Anfang an, wie meine Figuren aussehen“) und ganz entgegen ihrer üblichen Arbeitsweise kaum Überarbeitungen erforderlich machte.
Und vor allem macht Cornelia Funke deutlich, warum ihr das Genre der Phantastischen Literatur so am Herzen liegt: „Ich bin fest davon überzeugt, dass das Phantastische ein Teil unserer Welt ist. Man muss es nur sehen und finden.“
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