Thomas Hutter reist nach Transsylvanien, um ein Haus zu verkaufen. Interessent Nosferatu verliebt sich in ein Bild von Hutters Frau und folgt ihm zurück in dessen Heimatstadt. Im Gepäck: Ratten und die Pest – das Verderben nimmt seinen Lauf… Ein blutsaugender Vampir, der überlebt, indem er Leben stiehlt – zugleich die Geburt eines Filmgenres: Horrorspezialist Jörg Buttgereit blickt zurück auf eine Zeit, in der die Schreie der Heldinnen stumm waren und das Kinoblut noch nicht rot. trailer sprach mit dem Regisseur und Filmemacher vor den Proben:
trailer: Herr Buttgereit, wie viele Ratten werden durchs Dortmunder Studio rennen?
Jörg Buttgereit: Also nicht mehr, als sowieso da sind. Aber wir haben tatsächlich überlegt, denn diese Ratten sind ja im Film eigentlich nur ein Sinnbild für die Pest, die sie mit sich schleifen, und Nosferatu selbst funktioniert ja auch als Sinnbild für die Pest. Also im Grunde geht es ohne die Ratten, aber es wird natürlich eine Andeutung geben.
Bleibt das Grauen, das Murnaus „Nosferatu“ damals erzeugt hat, im Theater nicht auf der Strecke?
Nicht nur im Theater. Man merkt das ja auch bei der Verfilmung von Herzog. Also diese Geschichte, die immer wieder erzählt wird, ist ja eigentlich die Dracula-Geschichte von Bram Stoker. Die wird in jeder Epoche neu erzählt und neu gedeutet. Bei dem alten Murnau-Film wurde ja zumindest im Nachhinein reininterpretiert, dass der schon den Schrecken des Weltkrieges vorausgeahnt hätte. Und das sind ja Sachen, die bei Herzog schon gar keine Rolle mehr spielen.
Wie viel vom Drehbuch von Henrik Galeen steckt in der Inszenierung?
Das Drehbuch selbst war nicht verfügbar. Das heißt, ich habe mir eigentlich anhand des Murnau-Films die Gedanken gemacht, wie man das umsetzen könnte. Allerdings dann auf einen Ort beschränkt und mit viel weniger Protagonisten als der Film selbst zur Verfügung hatte. Das wird eine Art stilistische Version davon, aber auch eher mit einer stilistischen Herangehensweise. Was ja auch gut passt, denn der alte „Nosferatu“ ist ja auch schon ziemlich stilisiert.
Also eine schwarz-weiße Inszenierung mit stummen Akteuren?
Schwarz-weiß habe ich in Dortmund ja schon mal bei „Kannibale und Liebe“ gemacht – und ein bisschen in diese Richtung geht es auch. Die Inszenierung wird auch ein bisschen filmischer, in dem Sinne, dass wir zwar eine Leinwand haben, auf der aber keine Filme laufen (lacht). Ich weiß selbst noch nicht, wie das funktioniert. Die Proben beginnen ja gerade erst.
Wer macht den Schreck in Dortmund?
Uwe Rohbeck.
Logisch.
Die Idee kam tatsächlich von Kay Voges, dem Schauspieldirektor. Der hat den Uwe Rohbeck schon mal in einer Rolle gesehen, und da muss er ausgesehen haben, wie Nosferatu. Von daher ist er darauf gekommen und hat mich gefragt, ob das nicht was wäre, was ich mitUwe Rohbeckanrichten könnte. Bei „Kannibale und Liebe“ war es auch so, dass ich Rohbeck gesehen habe und gedacht habe, Mensch, der sieht doch aus, wie Ed Gein. Das ist eigentlich eine Typenbesetzung. Und nachdem er ja auch den Elefantenmenschen gespielt hat, ist der jetzt, glaube ich, auch –
Festgelegt?
Nein, nicht festgelegt, aber leidenswilliger (lacht). Das heißt, wir stellen fest, dass er diese Figuren, mit denen ich gerne hantiere, sehr gut nachempfinden kann und dass das Publikum ihm die auch voll abnimmt. Das dürfen ja alles nicht so plakative Schießbudenfiguren werden. Hier ist es jetzt spannend, anhand dieser Vampirfigur diese Sensibilität, die mir beim „Elefantenmenschen“ in Dortmund zwar viele Kritiker attestiert haben, halt auch in diese eigentlich abgedroschene Figur zu kriegen. So dassRohbeck zwar das Böse ist, aber Nosferatu selbst wird auch ein bisschen als etwas „Natürliches“ umgedeutet.
War Klaus Kinski der schlechtere Nosferatu?
Ich habe mir den Film von Herzog jetzt nochmal angesehen und bin eigentlich recht begeistert davon. Ich glaube, dass wir uns eher an dem Herzog messen werden oder ein bisschen danach richten werden, auch weil ich jetzt hörte, dass Uwe Rohbeck den Kinski auch gekuckt hat und den wohl ziemlich schrecklich fand (lacht). Da habe ich ihm aber gleich gesagt, dass es für mich ein paar sehr gelungene Szenen in dem Herzog gibt, die wir uns genauer ansehen sollten. Ich glaube, man kann die beiden Filme und ihre Hauptdarsteller einfach nicht vergleichen, weil Herzog ja auch keinen Schwarzweißfilm gedreht hat. Und der Murnau-Film wirkt aus heutiger Sicht ja deshalb so überzeugend, weil er eben in Schwarzweiß gedreht und ein Stummfilm ist und so wirklich wie aus einer anderen Welt rüberkommt. Man hat fast das Gefühl, man würde eine Dokumentation sehen.
Der Vampirmythos lebt in Osteuropa immer noch. Immerhin pfählen die Leute dort bis heute ihre Verwandten.
Das stimmt. Ich habe auch mal in einem Vortrag von Mark Benecke, dem forensischen Biologen gehört, dass das da so Sachen gibt. Der ganze Vampirmythos, der in „Nosferatu“ aufgegriffen wird, hat natürlich einen wahren Ursprung, sonst wäre er nicht so populär.
Hat das Böse irgendwann mal Pause?
Wenn man sich den Lauf der Welt gerade so ansieht, hat das Böse eher Hochkonjunktur.
„Nosferatu lebt!“ | R: Jörg Buttgereit | Sa 29.11.(P) 20 Uhr | Theater Dortmund (Studio) |0231 502 72 22
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