Das Genie im stillen Kämmerlein taugt nicht mehr als Geschäftsmodell. Der Wissenschaftler von heute muss sich mit Geldgebern herumärgern. Auch Dr. Jekyll kommt nicht umhin, erst einmal den Krankenhausvorstand anzusaugen, um das Projekt seines Lebens verwirklichen zu können: die Befreiung des Menschen von seiner bösen Seite. Doch keiner der ignoranten Honoratioren will ihn unterstützen. Und so landet der moderne Doktor tief frustriert doch wieder dort, wo sein literarisches Vorbild im 19. Jahrhundert begann: im stillen Kämmerlein. Und die Verkenner seines Genies sollen es noch bereuen. Als sich Komponist Frank Wildhorn Ende der 1980er Jahre Stevensons Schauernovelle für ein Musical vornahm, war der Stoff bereits reichlich strapaziert. Dennoch erwies sie sich für ihn als Glücksgriff: Das Musical wurde eines der erfolgreichsten überhaupt. Das Theater Hagen knüpft „Jekyll & Hyde“ an eine Folge von US-Stücken an, die Intendant Norbert Hilchenbach etabliert hat. Dieses Mal gibt es ein waschechtes Popmusical mit eingängigen Schmuseballaden und plakativen Soundeffekten aus dem mit Elektronik angereicherten Orchestergraben (Leitung: Steffen Müller-Gabriel). Hilchenbach holt sich für die Hauptrollen kompetente Gäste an sein Haus. „Jekyll/Hyde“ Henrik Wager, „Lucy“ Maricel Wölk und „John Utterson“ Norbert Conrads sind souveräne Musical-Profis, die die Soubrette Tanja Schun als einziges Ensemblemitglied im Protagonisten-Quartett gut integrieren.
Die Inszenierung besorgt Philipp Kochheimer, der vor dem Regie- auch das Bühnenbildner-Handwerk gelernt hat. Daran mag es liegen, dass die Optik (Ausstattung: Uta Fink) seiner jüngsten Produktion überaus gelungen ist. Der Musical-Jekyll, dessen Geschichte die Librettistin Leslie Bricusse mit Elementen aus Krankenhaus-Soaps aktualisierte, spielt in Hagen in einer edlen Designer-Wohnung, die als Universal-Kulisse dient – und deren weiße Ledersofas der Regisseur zunehmend zur Projektionsfläche für ausgiebige Kunstblut-Einlagen macht.
Um die Verwandlung von Dr. Jekyll in Mr. Hyde sichtbar zu machen, bedient er sich eines gelungenen Kunstgriffs: Jekyll filmt sich bei seinen Experimenten selbst mit der Videokamera. Seine mimischen Entgleisungen vom distinguierten Mediziner zum rohen Höhlenmenschen sieht der Zuschauer vergrößert auf einem Monitor.
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