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Das ungewöhnliche Liebespaar (Uta Holst-Ziegeler und Patrick Berg) ballert sich die Argumente des Für und Wider um die Ohren
Foto: Birgit Hupfeld

Der ewige Tanz ums Oxygenium

29. Januar 2011

„Sauerstoff“ vom russischen Autor Iwan Wyrypajew am Dortmunder Theater - Theater Ruhr 02/11

Die Versuchsanordnung im Dortmunder Studio ist einfach. Zwei milchige Räume. Ein CD-Spieler. Eine Videoleinwand. Kamera. Beamer. Mikrophone. Zwei Schauspieler, die scheinbar um ihr Leben spielen, oder es längst verspielt haben. Einen DJ, wie vom Autor Iwan Wyrypajew vorgesehen, brauchen sie längst nicht. Sie ringen bereits um Sauerstoff, um Drogen, Sein und Schein, Logik und Abstrusitäten des Lebens. „Also raucht lieber Gras, esst Äpfel und trinkt Saft als besoffen vor dem Fernseher rumzuhängen“. So schreibt der russische Dramatiker aus dem Moskauer Underground, aber es passt wohl auf alle dekadenten westlichen Gesellschaften. Und das macht sein Stück „Sauerstoff“ seit 2004 zu einem Renner auf den europäischen Bühnen.

Was geschieht also? Alex aus der Provinz trifft Alex aus der Stadt. Er ist verheiratet, sie eine rothaarige Schönheit. Beide stolzieren rennend durchs Theaterlaboratorium des dritten Jahrtausends, deklamieren wild über Moral, Gott und die Welt, über Terrorismus und religiöse Wahnvorstellungen. Struktur geben zehn Stücke aus einem Musikalbum, zehn Fotomotive und die Hatz zwischen Leuchtraum und Rampe, über DJ-Pult und Holzkisten. Björn Gabriel, eigentlich Schauspieler im Dortmunder Ensemble, liefert hier eine exzellente Regiearbeit ab. Schafft mit den beiden großartigen Jungschauspielern Uta Holst-Ziegeler und Patrick Berg eine die Sinne sprengende Sprechflut-Atmosphäre, choreografiert sie im Dreieck, lässt die Texte wie Soundattacken in die Zuschauer schießen. Unter einem Paar Handschellen erledigen sie das auch mal als Barbie und Ken in Form von Handpuppen, die nicht stehenbleiben wollen. Sie werden dennoch scheinbar lebensgroß auf die Leinwand projiziert.

Immer geht es um die Luft zum Atmen und wie man das lebenswichtige Gas in ausreichender Menge konsumieren kann. Denn die beiden Tänzer in der Brust wollen sich bewegen, rechts und links, und ihre Flügel wollen schwingen, je schneller, desto besser. Dabei geht es auch mal blutig zu. Selbst ein Mord wird argumentativ als gerechtfertigt gesetzt, denn der Täter hat eine neue Liebe gefunden, die Ehefrau ist hinderlich. Also schlägt er ihr mit einem Spaten auf die Tänzer, dass sie vor Schreck stehenbleiben, und erst als sie unter dem Rasen vor dem Haus liegt, kann er nach vielen Jahren endlich wieder atmen – und geht ins Haus Musik hören.

Das ungewöhnliche Liebespaar auf der Bühne ballert sich die Argumente des Für und Wider um die Ohren. Du sollst nicht töten, zehn Songs, zehn Gebote, doch was machen sie für einen Sinn, wenn sich die Prämissen, unter denen sie entstanden, einfach in Luft aufgelöst haben. Genauso wie die Argumentationsketten der beiden Alexe, bald schwimmen Dichtung und Wahrheit, verschwimmt die Realität: Du warst doch nie in Dubai, schreit sie, nachdem er die Drogengeschichte seines Lebens aufgetischt hat. „You can find me if you want me in the garden“, singt Blixa Bargeld, doch da liegt ja noch die verscharrte Ehefrau. Also geht es erst mal weiter mit schnellem Sex und der Angst vor der Impotenz. Die beiden verschwinden in den beleuchteten Milchglasstoffräumen, was da passiert, gibt es entweder auf der Videowand oder als Schattenspiel zu sehen. Ein ganz klein bisschen Pollesch, das sei immer gestattet. Am Schluss fällt das letzte Foto, der letzte Song wird religiös. Der Baum der Erkenntnis wird zwar erkannt, nicht aber der Sinn hinter dem Ganzen. Was bleibt, ist die Frage nach dem Sauerstoff, ohne den „kein Engel und kein Heiliger auch nur einen Schritt macht“. Doch Alexandra und Alexander leben in einer Welt mit vergifteter Luft. Das moralische Vakuum wird bleiben.

„Sauerstoff“ I So 6.2., 18.30 Uhr I Theater Dortmund I 0231 502 72 22

PETER ORTMANN

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