Es ist ein Requiem für eine Staublunge. Die Reinkarnation schwarz verschwitzter Menschen, die zum donnernden Klang der Maschinen ihre Maloche – tanzen. Keine Frage, die historische Choreografie von Susanne Linke hatte 1991 bereits Folklore an sich kleben. Sie kam damals schon ein Vierteljahrhundert zu spät, erzeugte aber noch ein Seufzen bei den Überlebenden der untergegangenen Industriezweige. In den Bochumer Kammerspielen wurde der Totentanz jetzt wieder reanimiert, mit frischem Blut befüllt – und erzeugt, außer romantischen Gefühlen – nichts. Püngelhaken transportieren Kleidung, keine Geschichte.
Natürlich ist alles gut. Ausdrucksstarke Tänzer, die eine scheppernde Blechtafel im Rhythmus mit Vorschlaghämmern verkloppen, ungewöhnliche Hip-Hop-Moves vom Renegade-Ensemble, schicke Videos aus der Region und in der Kaue rattern die Klamotten von der Decke herab. Doch die Essenz dessen, was damals diese Region verkörperte, was heute als Industrie-Tourismus gnadenlos geschminkt und verhökert wird, hat sich längst verflüchtigt – nicht nur in den Köpfen, auch in den Herzen. Die musikalischen Geräusche sind im Industrial verarbeitet, die Lieder der Maschinen bestehen nur noch aus Spurenelementen klickender Apparaturen.
Selbst der Alltag, den Linke zwischen Kanalangelei und Kneipenfreundschaft verortete, ist so nie gewesen. Dazu war die Maloche viel zu Körper- und Menschenverachtend und Feizeit hatte damals überhaupt noch keinen Stellenwert. Auch in dieser Beziehung verkleistert eine solche Arbeit eher das kollektive Gedächtnis und schreibt Geschichte für die, die damals lieber über Tage die deutschen Marken zählten, als sich darunter umzubringen. Ganz problematisch ist auch die Einbeziehung der drei Tänzer von der Herner Streetdance-Kompanie Renegade. Sie sind ein gelungener Fremdkörper in dieser Geschichtsklitterung, transportieren diese aber auch in die Zukunft und zementieren damit die falsch generierte Romantik. Sehen wir lieber zu, dass wenigstens eine winzige Erinnerung an die Wahrheit über die alte Zeit im Pseudodesign-Wahn der Touristiker überbleibt.
„Ruhr-Ort“ | R: Susanne Linkes | Sa 1.3. 19.30 Uhr | Kammerspiele Bochum | 0234 33 33 55 55
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