Als Schwiegertochter Rachel in den Haushalt der Reedereibesitzerin Wassa Schelesnova eindringt, um ihren Sohn vor dessen Oma zu beschützen, sind die Skandale einer sich in Auflösung befindlichen russischen Oberschicht längst verhandelt. Ehemann Sergej, der versoffene Kapitän, wählte das Gift, um sich nicht wegen Schändung Minderjähriger verantworten zu müssen, Bruder Prochor hat nur das Kindermädchen geschwängert, doch die endet schnell erstickt in der Sauna. Spaß und Posten perdu, was soll´ s, Hauptsache es ist noch Wodka da. Der Bruder bleibt fidel. In diesem Chaos versucht Wassa, die Zügel in der Hand zu behalten.
Katharina Linder spielt sie kalt, aber wortgewandt als entweiblichte Wirtschaftskapitänin im blauen Kostüm mit strenger Hochsteckfrisur und wenn es sein muss auch im Pelzmantel. Ihre Töchter sind eine hausgemachte Enttäuschung, ihr Sohn liegt im Ausland im Sterben, Wassa arbeitet unermüdlich weiter, wissend wie sehr sie ihr eigene Seele damit malträtiert, wie sie die Familie für eine kapitale Zukunft opfert, sie setzt alle Hoffnung auf den Enkel. Wenn es tatsächlich um die Frage gehen sollte, ob wir der Logik des Kapitals alle menschlichen Werte aufopfern, dann ist die Inszenierung weit von einer Antwort entfernt. Zu stark dominiert eine großartige Schauspielerin die Szenerie, einzig ihre immer hyperakkurate Sekretärin Anna, gespielt von einem köstlich berockten Daniel Stock, kann da phasenweise mithalten.
Ihre Gegenspielerin Rachel (Bettina Engelhardt) kann das nicht und darunter leidet Gorkis Dauerbrenner enorm, den Jan Neumann in einem großartigen Bühnenbild von Daniel Angermayr in den Bochumer Kammerspielen inszenierte und damit behutsam in eine Nichtzeit versetzte. Zentraler Punkt ist ein überdimensionierter Schreibtisch mit scheinbarem Eigenleben, hinter dem die Chefin thront und vor dem sich der Rest zu erniedrigen hat.
Das aber ausgerechnet auch eine Figur fast wie Gudrun Ensslin Gorkis „Wassa Schelesnova“ zwangsaktualisieren muss, scheint unnötig, ihre Verwandlung in eine Femen-Aktivistin tut eher weh, trotz authentischer Wiedergabe der Gewaltexzesse, die die jungen Frauen bei ihren politischen Statements öffentlichkeitswirksam weltweit erdulden müssen. Dafür bleibt der Gegenpart von Wassa zu schwach. Augenhöhe sieht anders aus.
„Wassa Schelesnova“ | So 1.12. 19 Uhr, Kammerspiele Bochum | 0234 33 33 55 55
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