Heldentum, Narzissmus, Allüren. Alles Dinge, die heute längst vermarktet werden. Dinge, die Superstars kreieren, die Massen zum Kreischen bringen. In einer Armee haben diese Attribute nichts verloren, auch wenn der Prinz von Homburg ihnen noch vor der historischen Schlacht bei Fehrbellin huldigt. Der Protagonist in Kleists letztem Stück versucht, das Spannungsverhältnis zwischen Pflicht und Gefühl, zwischen Staatsgewalt und den eigenen Gesetzen der Jugend auszuhalten. Doch daraus wird bekanntlich nichts. Kleist verortet das Prinzip der Subordination.
„Du hast gesiegt, doch war‘s dir nicht befohlen“, auch Bertolt Brecht war ein Fan des Dramas um den jungen Landgrafensohn, das Sibylle Broll-Pape jetzt im Prinz Regent Theater in Bochum inszenierte. Mit fünf überzeugenden Schauspielern, einem Videobühnenbild und ein paar wenigen Requisiten. Vier der Akteure stellen dabei eine ziemlich zeitlose Heerschar dar, ihre Uniformen stammen eher aus dem Golfkrieg als aus der Auseinandersetzung mit den Schweden 1675. Das ist ein schöner Schachzug, denn das hehre Heldentum scheint einer Renaissance entgegenzugehen. Doch erst einmal muss der junge Prinz im Garten schlafwandeln, seine Prinzessin finden, den ganz großen Ruhm spüren, um dann am nächsten Morgen bei der taktischen Schlachtbesprechung die Hälfte nicht mitzukriegen. Dann muss er noch en passant den Sieg erringen, obwohl er befehlswidrig handelt. The winner takes it all. Gepfiffen. Der Kurfürst setzt das Kriegsgericht an. Liebe hin oder her. Subordination kann sich eine preußische Armee eben nicht leisten. Und der junge Prinz ist eben auch Wiederholungstäter. Der heult ziemlich schnell um sein Leben, will den Verlust seines Status‘ nicht akzeptieren, erst als er selbst über sein Leben bestimmen darf, kehrt er zu alten Werten zurück – und wird wieder ein Held. Am Ende soll alles nur ein Traum im Garten gewesen sein. Heinrich von Kleists Überlegungen zwischen Gehorsam und Liebe, zwischen Befehl und Humanität kamen erst nach seinem Tod auf die Bühne.
Broll-Pape zitiert den alten Geist der Prinzipen gekonnt über die großflächige Videoprojektion (Sebastian Pircher), die aus mehreren Beamern Bilder, Stimmungen oder historische Verweise über die ganze Bühne legen. Selbst die offenen Kostümwechsel von Doris Plenert, die zwischen Prinzessin Natalie von Oranien und Rittmeister von der Golz hin und her pendelt, haben Flair.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 01/25
Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in Mülheim a. d. Ruhr und Köln – Theater Ruhr 01/24
Trance durch Kunst
Die Reihe Rausch 2 in Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 11/23
Brecht im Discounter
„Der gute Mensch von Sezuan“ am Grillo-Theater in Essen – Theater Ruhr 10/23
Bretter der Kulturindustrie
„Das Kapital: Das Musical“ im Schauspiel Dortmund – Theater Ruhr 10/23
Siehst du, das ist das Leben
„Der erste fiese Typ“ in Bochum – Theater Ruhr 06/23
Der gefährliche Riss in der Psyche
„Die tonight, live forever oder das Prinzip Nosferatu“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 04/22
Unberührbare Souveränität
Frank Wedekinds „Lulu“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 03/20
Totenmesse fürs Malochertum
„After Work“ in den Bochumer Kammerspielen – Theater Ruhr 02/20
Gespenstisches Raunen
Die Performance „Geister“ am Schauspielhaus Bochum – Theater Ruhr 02/20
Drei wilde C´s im Schnee
„After Midnight“ im Essener Grillo – Theater Ruhr 02/20
Von Büchern überschüttet
„Sokrates der Überlebende / Wie die Blätter“ in Mülheim – Theater Ruhr 02/20
Tragödie mit Diskokugel
Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ in Oberhausen – Theater Ruhr 01/20
Ein hochemotionaler Spiegel
Khaled Hasseinis „Drachenläufer“ in Castrop-Rauxel – Theater Ruhr 01/20
Donna Quichotta der Best Ager
„Linda“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 01/20
Spiegelei, Toast und Tier
„Das Reich der Tiere“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 12/19
Heute geht es auch ohne Brandbeschleuniger
„Biedermann und die Brandstifter“ in Essen – Theater Ruhr 11/19
Desinfiziert und doch tot
„Die Pest“ in Moers – Theater Ruhr 11/19
Wenn Datenberge erodiert sind
„Identität“ in Dortmund – Theater Ruhr 11/19
Biografisches Sightseeing
Babett Grube inszeniert „Alles ist wahr“ in Oberhausen – Theater Ruhr 11/19
Amouröse Programmierung
„Ein Sommernachtstraum“ am Theater Oberhausen – Theater Ruhr 07/19
Mit Drogen locker durchs Leben
Huxleys „Schöne neue Welt“ in Bochum – Theater Ruhr 07/19
Aufm Arbeitsamt wird gesabbert
„Willems wilde Welt“ von theater glassbooth – Theater Ruhr 07/19
Morden als Maloche
Harold Pinters „Der Stumme Diener“ in Essen – Theater Ruhr 06/19
Schaut wie die Kirschbäume fallen
„Der Kirschgarten“ in Essen – Theater Ruhr 06/19