Wände und Metallgerüste werden aus einem Laster ins Depot getragen. Eine Wohnung soll hier entstehen, beziehungsweise eine detailgetreue Nachbildung. Drei Tage vor dem Start des Favoriten-Festivals sind an diesem Montagmorgen zumindest die Konturen sichtbar. Was es genau mit diesem Kulissenbau auf sich hat, das verraten die künstlerischen Leiterinnen bei einem Pressegespräch, zu dem sie wenige Tage vor Festivalstart die MedienvertreterInnen eingeladen haben.
„ingolf wohnt“, heißt die Produktion, mit der das Künstler-Duo Kötter/Seidl das zehntägige Off-Festival eröffnet. Während in der Mittelhalle des Depot für die Aufführung am 6. September getüftelt wird, stellen die beiden künstlerischen Leiterinnen Fanti Baum und Olivia Ebert in einem Nebenraum der diesjährigen Festivalzentrale die Produktion vor. Und erläutern auch dieses Expanded-Cinema-Projekt von Daniel Kötter und Hannes Seidl. Ihr Ausgangspunkt ist eine Idee des ehemaligen DDR-Rundfunk-Mitarbeiters Ingolf Headicke. Der Hobby-Tüftler experimentierte in seinen vier Wänden mit verschiedenen Klängen und verschob die Gattung der Oper ins Alltägliche. Wie das aussieht? Das können die BesucherInnen erfahren, wenn sie in der nachgestellten Wohnung Platz nehmen und in einem 60-minütigen Film den Alltag des eigenwilligen Musikers verfolgen können.
Die Oper ist eine von vielen Formen, die bei den Favoriten ästhetisch hinterfragt werden. Unter anderem in „POEMS of the Daily Madness“. In dem Hybrid aus begehbarer Oper, Raumskulptur und politischem Singspiel hinterfragt Claudia Bosse, welchen Einfluss Rassismus und Terror auf unser alltägliches Handeln und Denken haben (13.9., Zeche friedlicher Nachbar in Bochum).
Überhaupt drehe sich bei den Favoriten vieles um die gesellschaftliche Lage, um Populismus oder um die Rückkehr alter Leitbilder: „Wir haben uns gefragt, wie die Kunst in dieser Zeit politisch agieren kann“, sagt Olivia Ebert. Den Schwindel der Demokratie greifen etwa das Choreografen-Duo Tim Behren und Florian Patschovsky an der Nahtstelle zwischen Tanz, Performance und zeitgenössischem Zirkus in seiner räumlichen Anordnung auf. Denn die Kölner haben für ihre Produktion „Surround“ (7.9.) verschiedene Sitzanordnungen in den Parlamenten recherchiert. Genau das soll dem Publikum in der Alten Schmiede in Huckarde vermittelt werden. „Wie fühlt es sich an, in dieser Anordnung zu sitzen?“, fragt Tim Behren. „Es dreht sich da um die Macht, mit der wir verhandeln müssen.“ Das Publikum müsse sich dafür physisch positionieren.
Weniger Positionierung, sondern Profilierung reflektieren die Choreografinnen SE Struck und Alexandra Knieps mit ihrer Tanzperformance „Sonderbarre Irre“. Ein Jahr haben sie vor dem Monitor gesessen und YouTube-Videos gesichtet. Ihre kulturkritische Diagnose: „Wir leben in Zeiten der Super-Performance“, erklärt Struck. „Für Wahrhaftigkeit interessieren wir uns nicht mehr.“ Diese Pflicht der Selbstdarstellung wollen die Künstlerinnen auf der Bühne vor Augen führen und diese Profilierungs-Posen in tänzerisches Material überführen, wie Struck erläutert: „Keine Authentizität, keine eigene Bewegung, das ist die Auflage, die wir uns gegeben haben.“
Um die Dekonstruktion eines westlichen Kanons geht es dagegen im Musikprojekt „DIVA: Celebrating Oum Kalthoum“. Oum Kalthoum gilt als die einflussreichste Musikerin der arabischen Welt im 20. Jahrhundert. Doch im Westen ist sie unbekannt. Das soll geändert und gleichzeitig Kalthoums Musik in die Gegenwart gerettet werden, so der Künstler Ariel Efraim Ashbel: „Wir wollen dieser Musik eine neue Version geben.“ Präsentiert wird das auf der Bühne als Mix aus Konzert und Performance. Interdisziplinär natürlich, eines dieser Schlagworte, die im Vorfeld des Festivals für Tanz, Musik, Performance, Zirkus oder Theater so oft fallen. Und damit wollen sich die Favoriten selbst positionieren: jenseits festgefahrener Konventionen und Formate.
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