Schon der berühmteste Wiedergänger der Bühnengeschichte schien dazu verflucht zu sein, auf Gerechtigkeit zu drängen. Schließlich war es Hamlets Vater, der erst nach seinem Tod den Prinzen als Gespenst heimsuchte, um ihm Racheflausen einzutrichtern. An dieses Muster patriarchaler Selbstjustiz knüpft Ursina Tossis Choreografie über die Wiedergänger nicht an. Die Hamlet-Sentenz, der zufolge die Zeit ist aus den Fugen geraten sei, rahmt auch ihre neueste Bühnenproduktion, in Form der zahlreichen kapitalistischen Krisensymptome aus Klimakollaps, Pandemien und Faschismus.
Tod und Wiederkehr
In „Revenants“, das im Rahmen des Favoriten Festivals gezeigt wurde, sind diese Verwerfungen vom Ende her aufgerollt, aus der Zukunft. Das Publikum im Depot lauscht einer Stimme aus dem Off, sie berichtet von Austausch, Liebe und Schwesterlichkeit. Wie jämmerlich erscheint dagegen die Gegenwart? Auch diese wird kurz umrissen: Manche reisten zum Mond, wie es heißt – wahrscheinlich, um der Scheiße des Bestehenden zu entfliehen. Hier herrscht der Tod. Und eben die Wiederkehr. Zumindest beginnt dieser Abend mit leblosen Körpern, die auf der Bühne liegen. Bevor zwei nackte Performerinnen die Bühne betreten, die leblos Liegenden entkleiden und sich die Klamotten aneignen. Ein Vorgang, der geduldig, fast technisch ausgeführt wird. Und es geschieht nicht das letzte Mal, dass sich die vier Akteur:innen an diesem einstündigen Abend nahezu roboterhaft bewegen. So bleibt unklar, was für Wesen die Wiedergänger sind. Vielleicht sind es Cyborgs; und zwar in dem Sinne, wie es die feministische Autorin Donna Haraway in ihrem Cyborg-Manifest skizzierte: als Hybrid-Subjekte, welche die Grenzen zwischen den Geschlechtern aufheben.
Keine Herrschaft mehr
Es ist nicht das einzige Science-Fiction-Element, das sich bei Haraway findet und das zugleich Tossis Choreografie andeutet. Denn die Zeitreisenden aus der Zukunft fegen zum Teil wie Vögel über die Bühne oder raufen sich wie Vierbeiner. Wer aus der erst kommenden Gesellschaft stammt, kennt wohl keine Herrschaft – sowohl über Tiere als auch Menschen. So dürfen die Wiedergänger auf der Rampe krächzen, kläffen, keilen, rülpsen und gurren. Auf diese körperbetonte Ästhetik setzte Tossi bereits zuvor in ihrer Produktion „Witches“, in der es um die Inquisition ging. „Revenant“ dreht sich ebenso um den Körper als Stempel, als Gerinnung oder Archiv der historischen Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen. Und diese Choreografie evoziert an diesem Abend antibinäre, antimechanistische und antipatriarchale Momente, welche die Wiedergänger in die krisengeschüttelte Gegenwart tragen; ob nun als Rächerinnen, Erlöserinnen oder eben als Gespenster, welche die Ungleichzeitigkeit der Geschichte beschwören. Denn die Zeit ist aus den Fugen geraten.
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