Leere Gesichter zauberte ja schon der Avantgarde-Komponist John Cage mit seinem Musikstück „4′33″“ herbei. Cage betrat die Bühne und legte mit seiner Performance los. Oder eben nicht. Denn Cage setzte sich ans Piano, starrte auf seine Uhr und ließ die Finger von der Klaviatur. Stille, die wie Ewigkeit vorkam und eine radikale Absage an den einfachen Kunstkonsum war.
Leere Gesichter gibt es auch bei der künstlerischen Präsentation der Choreographen David Guy Kono und Antoine Effroy, eine Präsentation im Rahmen des Favoriten-Festivals (6.-19.9.). Da strömen am Sonntagnachmittag einige neugierige BesucherInnen in die Werkhalle im Union Gewerbehof und sehen Kono. Sein Körper ist von einer Art Holztruhe bedeckt, auf der 1960 steht. Fünf Kerzen liegen auf dem Boden der einstigen Industriehalle. Aus dem Off plätschern Wassergeräusche. Doch dann. Dann wendet sich Kono und bleibt liegen. War's das? Was wollen die Künstler uns damit sagen? Nach ein paar Minuten nehmen die ersten BesucherInnen Platz.
Irgendwann erhebt sich Antoine Effroy, schlendert durch die Halle und zieht sich eine andere Buxe an. Ein paar Schritte geht er weiter und reckt – neugierig bestaunt – die Glieder. Bevor er sich wieder auf dem Boden breit macht. Tanz entwickelt sich erst langsam. Erst legt Effroy los. David Guy Kono lässt dagegen den Körper durchzittern, später kippt er sich einen Eimer Wasser über den Kopf oder tastet mit den Zehenspitzen über den Boden, als gelte es, diesen haptisch zu erfassen.
Genau darum geht es in dieser Performance, die Geduld abverlangt: Keine Absage an den Kunstkonsum, aber an eine Kunstrezeption, die für ein europäisches Denken steht – analytisch und begrifflich, ein Drang, alles zu verstehen und untertan zu machen. Diesen biblischen Befehl „Mach dir die Erde untertan“ wollten die beiden Künstler mit einem postkolonialen Ungestüm dekonstruieren. Die Kolonialgeschichte verbinden sie mit der Historie des Gewerbehofes. Von der Union AG bis ThyssenKrupp sind die Stahlkonzerne aufgelistet, die das Ruhrgebiet mit beherrscht haben. Industrie- und Kolonialgeschichte sind nicht voneinander zu koppeln, beide Kapitel stehen für eine gnadenlose Ausbeutung von Mensch und Natur.
In Deutschland, in Europa wird das koloniale Erbe allerdings kaum aufgearbeitet, wie David Guy Kono im anschließenden Gespräch beklagt: „Warum kann man diese Geschichte nicht hier erzählen? Warum werden dafür afrikanische Künstler auf europäische Bühnen geholt“?
Nur eine künstlerische Perspektive will Kono damit allerdings nicht aufzeigen. Es ging auch darum, den Boden als kamerunisches Dorf zu denken. Frei vom westlichen Weltbild, den Boden zu beherrschen und dessen Ressourcen auszuplündern, als friedliche Koexistenz mit der Natur: „Ich frühstücke mit der Welt. Jeder macht das“, so der Tänzer. „Woher kommt das, was wir essen?“ Einen Unterschied zwischen Boden und Körper lehnt der kamerunische Künstler ab. „Es steckt in meinem Blut.“ In europäischen Ohren klingt das nicht nur esoterisch. Es klingeln die Alarmglocken. Blut und Boden? War da nicht was? Diesen lebensweltlichen Ansatz direkt mit der NS-Begrifflichkeit zu verbinden, ist allerdings eine Falle, in die Rezipienten mit rein europäischen Sichtweisen tappen. Das betonen David Guy Kono und Antoine Effroy im Gespräch. Und ihre Performance lädt ein, diese Sichtweisen zu überdenken. Mit viel Geduld. Aber die braucht man ja auch mit Europa.
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