Feierabendgesichter deuten sich in dieser flimmernden Filmeinstellung an. „Arbeiter verlassen die Lumière-Werke“, 1895 gedreht, gilt als Geburtsstunde des Kinos. Die kurze Sequenz zeigt, wie ein Pulk von überwiegend weiblichen Fabrikarbeitern durch das Werkstor strömt, bevor sich die Menge auflöst. Die einen biegen die Straße nach rechts, die anderen nach links ab. Aus der schweißtreibenden Schicht geht es ins Privatleben.
Der berühmte Kurzfilm der Lumière-Brüder gehört zu den Clips, die das Favoriten-Festival präsentiert, um auf das üppige Programm einzustimmen. Das Motto, dem sich das Festival der freien, darstellenden Künste vom 10. bis zum 20. September widmet, lautet in diesem Jahr: „While we are working“. Doch vorbei sind die Zeiten, die die Lumières noch ikonographisch dokumentierten: Ein Leben, das sich sauber in Arbeit und Freizeit, Produktion und Reproduktion, Lohntätigkeit und Wohlstand gliedert, ist heute schwieriger vorstellbar.
Die künstlerischen Produktionen bewegen sich zwischen Performance, Tanz, Installation, Film und weiteren Formaten. Und das Festival-Motto liefert eine Steilvorlage für kritische Auseinandersetzungen, um das Wirrwarr einer Work-Work-Balance zu lüften. Denn dass Maloche nach wie vor in kapitalistische Zusammenhänge eingebettet ist, leuchtet vielen ein. Komplizierter erscheint die Verstrickung von Ausbeutung mit rassistischen und sexistischen Zusammenhängen.
Was hat etwa die Figur der Hexe mit dem Aufkommen des Kapitalismus zu tun? Sie geht darauf zurück, wie die feministische Historikerin Silvia Federici in ihrem starken Buch „Caliban und die Hexe“ über die „Hexenverbrennung“ rekonstruiert. Choreografin und Tänzerin Ursina Tossi bringt diese Theorie auf die Bühne, ihre Produktion „Witches“ hinterfragt die Disziplinierung weiblicher Körper und die Konstitution eines modernen Patriarchats.
Unsichtbar erscheint auch die ungerechte Verteilung von Ressourcen auf dieser Erde. Diese beleuchtet ein Kollektiv aus u.a. Guy Dermosessian, Romy Schmidt oder David Guy in einer Reality-Show. Während KGI den monotonen Arbeitsalltag in das Opernformat kleidet. Bibbernd und winselnd zeigen sie dabei das absolute Gegenteil eines Feierabendgesichts.
Favoriten Festival | 10. - 20.9. | Depot Dortmund | www.favoriten-festival.de
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