Die Kammerspiele in Bochum sind ein heiliger Ort. Hier standen Helden der Theatergeschichte von Christine Kaufmann bis Ulrich Wildgruber, von Dörte Lyssewski bis, na ja, nehmen wir mal Herbert Grönemeyer, weil der eigentlich so schön ins Konzept von Regisseur Frank Abt passen würde. Es geht um mediale Superstars und die dazugehörenden Castingsshows, in denen Menschen glauben, mit ungesundem Ehrgeiz, Kaiserschnitten an der Seele und hoffnungsloser Talentlosigkeit doch noch ein Stück götterhaften Glanzes zu ergattern – und sei es nur für Warholsche Fünfminuten.
Frank Abt lässt in einem reduzierten Bühnenbild agieren, auf fünf Podesten schmale Drehwände mit Monitor, den Blick frei auf die hintere Brandwand. Das suggeriert erst einmal Studioatmosphäre, später durch geschickte Lichtregie auch Taubenschläge und ein Schwimmbad. In diesem Ambiente werden die fünf Schauspieler zu Protagonisten in eigener Sache, denn viele Verträge laufen nach dieser Spielzeit aus, und das Casting, das Vorsprechen, die Angst zu versagen, die Angst vor der Zukunft schwingt wohl an diesem Abend in Realzeit mit. Aber es sind auch die Geschichten realer Menschen, die ein Journalist im Vorhinein per Interviews eingefangen hat, Alltäglichkeiten, Unmöglichkeiten und Traurigkeiten breiten sich aus, eingesponnen in den Versuch, aus nichts eine Band zu gründen, die sich der Casting-Jury stellen will, um dem scheinbar schnöden Sein endlich zu entfliehen. Gut dass die Akteure keine Musiker sind, köstlich, wie nach mehrwöchiger Probe das unbekannte Ding Instrument behandelt wird, erstaunlich aber auch, wie ruhig dann doch damit performt wird. Für einen peinlichen Auftritt bei Dieter dürfte das schon reichen.
Aber zurück zur Metaebene, denn da geht es nicht um die Klischees der Breitbild-Televisionsmafia. Es geht wohl auch nicht um die Frage, was Menschen treibt, sich vor einem Millionenpublikum kostenlos zu prostituieren. Es geht um die kostbaren Momente, die durch alltäglichen Ruhm erzeugt werden, und die, einmal erlebt, mit psychischer Gewalt immer wieder erlebt werden wollen. Bestes Beispiel ist dafür der Taubenzüchter (Cornelius Schwalm), der durch Zufall an erfolgreiche Tiere gekommen ist, der Pokale und Anerkennung einheimst und sich dabei als „Superstar der Szene“ fühlt. Doch der Ruhm ist dahin, sein Können als Züchter war wohl nicht ausreichend. Sein Erfolg beruhte lediglich auf Glück, und diese Erkenntnis ist schwer zu ertragen, endet meistens in Resignation. Aber vielleicht ist Ruhm nur die unglückliche Steigerung von Glück. Denn das erlebt in „Superstars“ das Vorstandsmitglied (Marco Massafra), das trotz ausreichendem Einkommen als erfolgreicher Jurist den Weg in den Knast findet, weil es glaubt, zum Ruhme gehöre eben die Unterschlagung dazu. Kaum besser geht es dem daueralkoholisierten Musiker (Torsten Kindermann, tatsächlich Musiker), der perspektivlosen Jungdiva (Jele Brückner) und der Ärztin (Stephanie Schadeweg) die eigentlich Schauspielerin werden wollte.
Diese fünf Helden aus der Retorte, diese Mustermänner und -frauen, diese alltäglichen Kämpfe ums Glück inszeniert Frank Abt in ruhigen Bildern und Choreografie und langen Monologen. Die Spannung entsteht aus dem Bewusstsein, dass hier authentisches Textmaterial aus den Interviews verarbeitet wird. Die Rahmenhandlung zur Vorbereitung des Casting-Auftrittes tritt dabei eher in den Hintergrund, wenn auch der einstudierte Song den finalen Contest-Höhepunkt darstellt. Doch da sind bereits irgendwie alle auf der Strecke geblieben, haben das Tannenzweiglein im Mund und warten auf die Ausweiden-Show, bei der bestimmt jeder ein medialer Superstar wäre.
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