Er ist kein übler Kerl, dieser Kohlhaas. Ein aufrechter Kaufmann, und einer, der an „das Gefüge von Recht und Ordnung“ glaubt. Eher Spießer als ein Revoluzzer. So ist er eigentlich auch nicht auf Ärger aus. Kohlhaas will in Ruhe seine Arbeit machen, sein Leben leben – pragmatisch und kompromissbereit. Aber alles hat seine Grenzen. Und die sind bei Kohlhaas dort, wo man ihm Unrecht tut und sich über ihn lustig macht. Er fordert Gerechtigkeit – vom Staat und der Gesellschaft. Doch die ducken sich weg, als er sein Recht einfordert. Sie winden sich aus ihrer Pflicht heraus und lassen ihn allein. Aus dem Enttäuschten wird so ihr ärgster Feind – ein erbarmungsloser Rächer.
Vor genau 200 Jahren erschien Heinrich von Kleists Novelle nach historischem Vorbild, die den Kohlhaas schließlich zum Synonym des maßlosen Gerechtigkeitsfanatikers werden ließ. Marco Baliani und Remo Rostagno dramatisierten die Erzählung in freier Bearbeitung für die Theaterbühne, als Monolog für einen Schauspieler. Regisseur Dieter Klinge inszenierte das Kammerspiel ursprünglich am Staatstheater Kassel auch mit Uwe Rohbeck als Darsteller. Nun ist es in Dortmunder als Studioproduktion zu sehen. Rohbeck steht dabei nicht einfach nur als Kohlhaas auf der Bühne; immer wieder muss er zwischen den Rollen umschalten: zwischen Erzähler und Protagonist, aber auch zwischen mächtigen Gegenspielern und wohlmeinenden Mahnern. Ihm gelingen die Wechsel durchweg treffsicher und ohne große Gesten – etwa zwischen der schäumenden Wut des Betrogenen und der kühlen Arroganz der Macht.
Unterstützung gibt es für ihn allein von Georgy Vysotsky, der an einem alten, präparierten Klavier klangmalerisch illustriert und Stimmungen zuspitzt. Die Bühne ist aufs Nötigste reduziert. Der Dortmunder Kohlhaas ist kein irrer Amokläufer, der das Publikum fassungslos zurücklässt. Er ist ein gebrochener Mann, dem Stück für Stück „die Einfriedung des Herzens“ zerstört wurde. Einer, der konsequent Konsequenzen fordert und darüber vergisst, dass er nicht nur seine mächtigen Widersacher, sondern auch deren unschuldige Untertanen bekämpft. Kohlhaas landet bei Kleist wie im wahren Leben auf dem Schafott. In der Literatur und auch auf der Bühne bleibt ihm immerhin ein letzter Triumph: Er ist konsequent geblieben – bis zum bitteren Ende.
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