Ob bei der Erststimme oder der Zweitstimme, die Grafik zu den Wahlkreisgewinnern der Landtagswahl weist inmitten des schwarzen Klumpens einen großen roten Fleck auf: das Ruhrgebiet – die sogenannte Herzkammer der Sozialdemokratie, wo die Menschen angeblich auch einen Besenstiel wählen, sofern er nur rot genug ist (und wo die AfD teilweise gut zweistellig ist). Das Ruhrgebiet – Sorgenkind im Westen Deutschlands, Opfer des Strukturwandels, No-go-Areas und enthemmte Kriminalität, Feinstaubwerte zum Abhusten, ein einziger Stauraum. Oder: das Ruhrgebiet – ehrliche Menschen, Zusammenhalt, Traditionsfußball, bestes Pils, mäanderndes Grün durch Industriekultur. Sowohl die einen als auch die anderen Klischees wurden Ruhr auf- und abwärts durchexerziert. Ja, das Ruhrgebiet ist eine Region der Gegensätze und ja, der Wandel ist mittlerweile zur Tradition geworden. Doch so sehr die Menschen hier eine eigene, ganz besondere Identität bemühen, so sehr ähneln sie den Menschen aus den anderen Regionen. Alaaf, Helau oder RWE, S04, BVB oder Horrido – Hauptsache ein Gefühl von Heimat.
Und da Heimatfilme nun einmal Teil unserer (Geschichts-)Kultur sind, erfreuen wir uns an den vermittelten Bildern und Stereotypen und seufzen anschließend selig: Hach ja, so sind wir. Das funktioniert auch meist hervorragend, denn trotz beschissener Situation (Jobverlust etc.) gibt die romantisierte Ruhrgebietsmentalität wieder die nötige Erdung. Adolf Winkelmann, Häuptling der Working-Class-Ruhrgebietsfilme, konnte sich sicher sein, dass auch „Junges Licht“ wieder ziehen wird. Peter Thorwarth wird auch zum 25. Jubiläum von Bang Boom Bang abgefeiert werden und Ralf Richter jederzeit einen Grabowski mimen dürfen. Der Ober-Ruhri, Frank Goosen, wird auch seine anderen Heimatbücher über die Leinwand ziehen sehen. So nett und unterhaltend es auch immer ist, aber Kumpel, Fußball, wat und dat kann doch nur ein Teil unserer Kultur sein und daher auch nur ein Teil unserer Heimatfilme.
Es gibt hier mehr als das, was als Bild über das Ruhrgebiet heraus- und hineingetragen wird. Bayern ist schließlich auch mehr als der Bulle von Tölz. Glaub ich zumindest. Und zwei kürzlich angelaufene Filme zeigen Heimat jenseits der bekannten Topoi. Michael Kochs Debüt „Marija“ (Start im März) zeichnet einen Traum vom sozialen Aufstieg nach, jedoch nicht im Sinne von „Dat schaffen wa schon. Zusammen“, sondern kühl, verbissen und sehr realistisch in der Dortmunder Nordstadt angesiedelt. Nun tingeln die Pottkinder durch die hiesigen Kinos. Mit, wie der Name schon sagt, echten, richtigen Menschen aus dem Ruhrgebiet. Aber aus dem Hier und Jetzt. Ohne Bahnhofsbuchhandlungspostkartenklischees.
Vielleicht geht der Heimatfilm ja demnächst auch öfter mal eine Liaison mit diversen anderen Genres ein: Z-Office, Zombietrash im 80er Style und angesiedelt im Dortmunder Großraumbüro legt da einen vielversprechenden Start hin. Und es gäbe noch so viele andere mögliche Genrefilme mit Titeln wie Pot(t)heads – Der Film, Zombies im CentrO, Die Unbestechlichen im Essener Rathaus, Fluchtpunkt RS1. Wir, die wir die Vielfalt hier so hochjubeln, haben uns doch ein Mehr an Heimat verdient.
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