Vom Parkplatz in die Zukunft. Hinein in die Katakombe. Die Bühne ist ausgelegt mit Rettungs-Goldfolie gegen das Auskühlen. Ein gelbes Licht. Die brave new world wurde längst verschluckt, die young´n´rotten des Bochumer Rottstraßen-Theaters zeigen deshalb Gary Owens Endzeitparabel „Die versunkene Welt“. In der lauert der Quarantäne-Befehl, mit dem ein Teil der Bevölkerung entsorgt werden soll. Owen legt am Anfang falsche Fährten, der Zuschauer glaubt, dass Strahlenkranke die Opfer sind. Doch diese „Nicht-Bürger“ haben einen ganz anderen Makel: Sie sind trotz der kaputten Welt schön und sie sind machtlos.
Darren (Jan Zygiel), ein echter „Bürger“, mit persönlicher Frischwasserration und eigener Behausung fühlt sich nicht wohl. Ziellos fährt er umher, sucht nach Liebe und Hoffnung, projiziert seine Systemkritik auf die Nebel, die über der Welt liegen. Dann trifft er auf Tara und Julian (Kerrin Banz und Akbar Paktin), der nach einem Übergriff schwer verletzt ist. Nun hat er seine Chance. Er will helfen, er will die Frau, er hat ein böses Ziel. Er versteckt sie in seiner Wohnung.
Regisseurin Clara Nielebock lässt die ausgezeichneten jungen Darsteller auf der Folie wie Schachfiguren agieren, wenige Bewegungen reichen auf der kleinen Fläche, jeder macht seinen verbalen Zug erst, wenn er an der Reihe ist, denn es geht immer um alles, ums nackte Überleben. Dazu brauchen die drei Geld für Wasser und Essen. Und sie müssen dafür etwas verkaufen. Als erstes sind es die Haare von Tara, die unters Messer kommen, dann muss ein Zahn dran glauben. Darren verkauft an eine Polizistin (Darja Mahotkin), die zwar die Schönen jagt, aber eher auf der Suche nach Liebe ist. Die vier Figuren stellen sich aus drei Perspektiven dem System Schön gegen Hässlich, zwei werden nicht überleben, niemand wird am Ende gewinnen. Die Inszenierung ist intensiv, brachial und spielt wunderbar offen mit den Utensilien − auch wegen der nicht zu vermeidenden Nähe des Publikums zu den Akteuren. Wieder einmal zeigt sich, dass Theater ohne Firlefanz eben auch Theater ohne Umwege ist. Dazu braucht es ausgesuchte Schauspieler, Schauspieler mit Herzblut, Schauspieler eben.
„Die versunkene Welt“ von Gary Owen I R: Clara Nielenbock | Theater Rottstr5 Bochum I Sa 2.7. 19.30 Uhr I 0163 761 50 71
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