Florian Ebner vom Museum Folkwang über die Ausstellung „Heinrich Kühns Kasten“ – Sammlung 06/16
Dass es Kunstfotografie auch schon vor über hundert Jahren gab, zeigt das Werk des experimentierfreudigen deutsch-österreichischen Fotografen Heinrich Kühn (1866-1944). Anlässlich der Ausstellung „Heinrich Kühns Kasten. Oder die Liebe eines Fotografen zum Material“ im Essener Museum Folkwang sprachen wir mit Florian Ebner, dem Chef der Fotografischen Abteilung.
trailer: Herr Ebner, ich bin ganz ehrlich. Vom doppelten Bromölumdruck hab ich noch nie was gehört. Florian Ebner: Dann werden Sie wahrscheinlich vom einfachen Bromölumdruck auch nichts gehört haben (lacht). Aber die Frage ist natürlich erst einmal, ob man überhaupt von Edeldrucktechniken schon mal was gehört hat. In der Tat ist die Ausstellung „Kühns Kasten“ eine interessante Konstellation seltener fotografischer Techniken. In dem Moment, wo der Epochenwechsel abgeschlossen ist, von einem Foto durch Ausbelichten von Negativen auf einer Silberschicht, hin zu dem Zeitalter des digitalen Moments, wo man Bilder lieber in Linien schreibt, meistens mit einem Tintenstrahl oder sei es mit LED-Laser – dort aber immer noch auf chemisches Papier – genau jetzt zeigen wir diesen Fotografen Heinrich Kühn mit seinem Interesse am besonderen Papier und diesen Edeldruckverfahren, die im Grunde in unterschiedlichster Weise mit unterschiedlichsten Materialitäten ein Ausgangsbild aufs Papier hinübersetzen, in enorm vielen Zwischenstufen. Und dessen Verfahren am Ende fast ein autonomes Bild vom Ausgangsnegativ erzeugt.
Aber hat die Avantgarde der fotografischen Steinzeit heute noch was zu sagen?
Florian Ebner
Foto: Jens Nober
Zur
Person
Florian
Ebner, geboren in Regensburg, studierte Fotografie an der École Nationale
Supérieure de la Photographie in Arles sowie Kunstgeschichte, Geschichte und
Romanistik an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 2012 ist er Leiter der
Fotografischen Sammlung im Museum Folkwang, zuvor des Museums für Photographie
Braunschweig. 2008/09 führte er kommissarisch die Fotografische Sammlung der
Berlinischen Galerie. Von 2000 bis 2007 lehrte er Fotografie an der Hochschule
für Grafik und Buchkunst Leipzig.
Ja, ich glaube, was wir im Folkwang Museum immer versuchen, ist eigentlich die Geschichte und Gegenwart der Fotografie wild gegenzuschneiden, auch mit Film. Wir versuchen so, interessante Momente, interessante Analogien, aber natürlich auch die großen Differenzen zu zeigen. Deshalb zeigen wir Fotografien, die 120 Jahre alt sind, und wir zeigen, dass junge Fotografen wieder losgehen und auf ihrem ausgewählten, besonderen Papier ihre Inkjet-Prints bringen.
Sind die Papiere in „Kühns Kasten“ denn noch original? Absolut. Da finden sich die Wasserzeichen der berühmtesten Papiermühlen seiner Zeit.
Auch Piktoralismus als fotografische Stilrichtung von damals ist nie ausgestorben, immer noch Atmosphäre vor Objekt? Ich glaube, das Interessante am Piktorialismus ist, dass Leute über Jahrzehnte diese Sichtweise weitergeführt haben, obwohl sie eigentlich längst überholt war. Das ist ein klassischer Fall, wo man sich ganz genau die Kontexte anschauen muss, in denen etwas geschieht. Nicht nur das formal Bildnerische, sondern auch das Formale in der Zeit, in der es entsteht. Als Kühn und die Piktorialisten das gemacht haben, Ende des 19. Jahrhunderts, war die Fotografie, das muss man sich immer wieder vorstellen, ein reines Kind der Industrie, des technischen Bildes, war ein Kind des Boulevards, also der Porträtateliers, sie war sogar ein Kind des Flohmarkts mit den billigen Fotografien, die man von sich machen konnte. Aber auch die ganzen unterhaltsamen Dinge, der Reisefotografie, natürlich auch ein Kind der versteckten Bilder, der Pornografie. Aber sie war im Grunde, wenn man so will, fast ein ärmliches Kind, ein staubiges, öliges Kind, kein Kind des Salons oder des Museums. Und was die versucht haben, ist eigentlich, Fotografie in genau diese musealen Gefilde zu führen. Indem man gezeigt hat, die Fotografie ist nicht nur ein rein mechanisches, nicht nur ein autistisches Bild, das ganz sklavisch alles genau abbildet. Sondern das ist ein Bild, das mit einer Linse ganz eigene Bildwirklichkeiten erschaffen kann. Der Kühn ist dann am Ende auch ein konservativer Knochen gewesen, der hat immer noch seine Objekte mit Weichzeichnereffekt entworfen, als es schon längst nicht mehr die Moderne war.
Damals war es Materialkunde mit Papier und Chemie, heute ist das Photoshop. Es gibt einen tollen Satz: „You do not take a photograph, you make it.” Also Fotografie ist nicht die einfache Kopie der Wirklichkeit, sondern das ist immer schon ein gemachtes Bild. Und in der Tat, das gemachte Bild ist heute das aus Photoshop. Was heute die Apps des digitalen Zeitalters sind, waren früher die Skills, also die technischen Fähigkeiten, das chemische Verständnis, das diese Kunstfotografen sich angelernt haben.
Die Frage bleibt, wo ist heute in der Fotografie das Original? Das sind große Fragen. In der Tat ist das die Frage, was heute in digitalen Zeiten überhaupt das Original ist, wann ist es ein fotografisches Original? Also wenn Sie im Grunde einen Fotografen fragen, selbst Friedlander, der heute 90 ist, der würde sagen, ein Original ist das Negativ. Wenn Sie den Galeristen fragen, den Kunsthändler, der würde sagen, nein, das Original ist der teuerste Vintage-Abzug. Wenn Sie jetzt Andreas Gursky fragen, dann ist das Original die 1 von 2, also die Auflage. Also gibt es ohnehin drei, vier Antworten auf die Frage was das Original heute ist. Das Original bei Kühn ist in der Tat die nicht so große Auflage an Originaldrucken. Bei dem ist es ganz sicherlich nicht das Negativ, sondern ausschließlich seine Drucke. Beim digitalen Zeitalter heute ist die Frage, was ist das Original, eine völlig offene, denn ist eine Datei überhaupt ein Objekt? Was ist das überhaupt, die digitale Fotografie? Das macht die Fotografie aber auch so spannend.
„Heinrich Kühns Kasten. Oder die Liebe eines Fotografen zum Material“ | bis 21.8. | Museum Folkwang, Essen | 0201 884 50 00
INTERVIEW: PETER ORTMANN
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