Die Ausstellung „UK Women – Britische Fotografie zwischen Sozialkritik und Identität“ in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen zeigt Werke von 28 Künstlerinnen aus dem Vereinigten Königreich. Ein Gespräch mit Kuratorin Kerrin Postert.
trailer: Großbritannien mitten in der Rezession: Migranten werden gegen britische Pfund nach Ruanda abgeschoben. Wie sehr spielt Politik in der Fotografie von Britinnen heute eine Rolle?
Kerrin Postert: Politik ist immer ein Thema. Sie wird verschieden wahrgenommen. Es geht in den Fotografien um soziale Ungleichheit, etwa in einzelnen Stadtteilen, wenn ein schwächeres Milieu oder beengter Wohnraum gezeigt wird. Es geht aber auch um Herkunft und um eigene Identität oder Genderidentität. Aktuelle Themen sind immer auch Themen der Fotografie.
Gibt es da Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern des Vereinigten Königreichs?
Audrey Blue, eine der Künstlerinnen, ist in Nordirland aufgewachsen, und sie lebt auch queer. Das hat sie in einer Serie festgehalten. Aber es gibt zwischen den Regionen verschiedene Sichtweisen, sodass Fotografie auch unterschiedlich wahrgenommen wird, insbesondere was die Fotografien der Künstlerinnen aussagen. Da ist also ein Unterschied innerhalb der einzelnen Länder Großbritanniens.
Die Ausstellung schafft auch eine zeitliche Dramaturgie.
Richtig. Wir haben das innerhalb der Ausstellungsräume bunt gemischt, aber generell kann man sagen, dass die Ausstellung gut über 50 Jahre abbildet. Es beginnt mit eher dokumentarischen, frühen Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus den 1970er Jahren, geht dann in die 1980er und 90er Jahre über, wo es ein bisschen populärer wird, humorvoller, satirischer, aber auch provokanter. Es wechselt dann in den Bereich ab den 2000er Jahren, wo es generell einen Wandel in der Fotografie gibt, allein dadurch, dass man plötzlich digitale Aufnahmen hat, die auf Festplatten gesichert werden können. Deshalb klebt niemand mehr sorgsam in Familienalben ein, sondern speichert alles einfach ab oder teilt es auf Social Media-Konten. Mit diesem riesigen Unterschied beschäftigt sich auch eine der Fotografinnen, Trish Morrissey. Dazu kommen dann noch die Auswirkungen der Corona-Pandemie, auf die in verschiedenen Serien reagiert wird.
Ziehen sich die heute hochaktuellen Themen wie Soziales, Migration und Genderidentität in der Dokumentarfotografie durch die Jahrzehnte – oder ist das ein Alleinstellungsmerkmal dieser Zeit?
Das kann man sicher nicht für die gesamte Dokumentarfotografie beantworten. Markéta Luskačová war damals ganz begeistert, dass die Engländer ihre Freizeit so gut angezogen an der Küste verbringen, egal bei welchem Wetter. Und dass es ganz unproblematisch war, dass sie auf ihr eigenes Kind aufpassen, während sie mit der Kamera umhergestreift ist. Wir haben ansonsten von Fran May aus London eine frühe Serie, wo die Arbeit auf einem Flohmarkt gezeigt wird. Das sind im Grunde alles kleine Sozialstudien.
Porträtfotografie spielte insbesondere bei den frühen Arbeiten eine große Rolle?
Ja. In der Ausstellung gibt es keine klassischen Porträtfotografien, wo nur eine Person zu sehen ist. Sondern Porträts von Menschen, die vielleicht bei ihrem Freizeitvergnügen abgebildet werden. Völlig ungestellt, manchmal bekommen die Leute das nicht einmal mit, dass sie fotografiert werden.
So wie bei Anna Fox auf dem Flughafen?
Genau. Das ist bereits in den späten 1980er Jahren. Da wartet die Journalistin auf die Ankunft von Madonna.
Ist künstlerische Fotografie jenseits der Dokumentation heute noch von Bedeutung?
Auf jedem Fall. Das sehen Sie exemplarisch bei Sarah Maple. Diese Frau im Anzug, mit Zigarette im Mund. Das spielt völlig mit den Geschlechteridentitäten und der Überschneidung von Geschlechterrollen. Wenn Sie sich das genau anschauen, dann ist das hochgradig stilisiert mit dem roten Mund und Fingernägeln, und dann könnte man weiter darüber nachdenken, ob das ein Schwangerschaftsbauch ist – und sofort dreht sich die Frage wieder darum, warum raucht sie dann und warum hat sie einen männlich konnotierten Anzug an. Wenn sie als Mann gelesen würde, könnte das ja eher ein übergewichtiger Bauch sein.
Wie hat sich denn über die Jahrzehnte die fotografische Technik der Künstlerinnen verändert?
Speziell ist das bei den ausgestellten Arbeiten nicht zu sagen. Aber gerade mit dem eben angedeuteten Wandel von analoger zu digitaler Fotografie hat sich sehr viel verändert.
Es ist leichter geworden.
Richtig. Es ist viel, viel leichter geworden. Man muss auch gar nicht mehr so genau arbeiten, vieles lässt sich im Nachgang bearbeiten. Das war früher sicher schwieriger.
Wie sieht es mit Bildfindung und Perspektiven aus?
Also die Perspektiven in den 1980ern, die sind schon direkter. Wenn sie die Fotos von Anna Fox anschauen, mit diesem harten Blitz, da wird dann auch generell das Motiv genauer. Das wird völlig überhöht durch den Blitz, denn die Person, die im Mittelpunkt steht, wird sehr stark belichtet. Elaine Constantines „Girls on Bikes“ aus den späten 1990ern, das ist dann eher ganz scharf auf diese jungen Teenager in leichter Untersicht bezogen, und zieht die Betrachter:innen in das Bild hinein. Das ist in den Jahren eine Praktik, um sich gegen die Supermodels abzusetzen, gegen deren Standard-Modelposen auf den Magazincovern.
Das Selbstbewusstsein ist gestärkt, aber bis heute gibt es immer noch ein Ungleichgewicht in der Betrachtung von Künstlerinnen, Fotografinnen im Vergleich zu den männlichen Kollegen, oder?
Genau, und deshalb wollen wir diese Ausstellung zeigen.
Wie bedroht künstliche Intelligenz das Medium?
Sehr, aber ich bin keine Foto-Expertin. Ich kann da nur aus eigener Erfahrung sprechen, dass man auf der Hut sein sollte. Das ist Fluch und Segen zugleich. Was damit auch schon im politischen Bereich passiert ist oder passieren kann, ist sicher nicht zu unterschätzen.
UK Women – Britische Fotografie zwischen Sozialkritik und Identität | bis 15.9. | Ludwiggalerie Schloss Oberhausen | 0208 412 49 28
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