trailer: Wie ich höre, habe ich vier von euch fünfen am Telefon. Nehmen wir an, ihr holt an der Trinkhalle Nachschub und ein Mann, der euren Sound kennt, sagt: „Hömma, ihr seid aber völlig aus der Zeit gefallen!“ Wäre das ein Kompliment?
Cicka: Stephan sagt Ja.
Tim: Formulieren wir es so: Wir stehen zu unseren Wurzeln und wissen, wo wir herkommen.
Diese Wurzeln stecken tief in den Neunzigern und betreffen den Sound, den Bands wie NOFX, Lagwagon oder Millencolin auf dem Höhepunkt ihrer Erfolge spielten. Auf Seiten des Publikums gingen damit gewisse Klischees einher. Ich möchte testen, ob sie auf euch als Fans damals auch zugetroffen haben. Erstens: Baggy Pants oder abgeschnittene Armeehosen vom Trödel.
Cicka: Denk dir folgendes Bild: Beine wie Trommelstöcke, aber die Hose drei Mal so weit und bis unter die Arschritze hängend. Ein T-Shirt in Größe L bei normaler Konfektionsgröße S. An den Schuhen die Abriebspuren des Kantenschutzes vom Skateboard.
Man fuhr mit einem alten VW-Bus zum illegalen Campen durch Europa, führte 12 Paletten Hansa Pils mit sich und das Programm der Plattenfirma Fat Wreck Chords auf Kassette.
Cicka: Es war ein Opel Kadett D, vollgeladen mit Bier und erst mal Richtung Holland. Da der Weg das Ziel war, kamen wir nie weiter als bis nach Frankreich. Die Musik von Fat Wreck Chords war auf jeden Fall dabei, auf CD, mit ordentlicher Anlage.
Wenn es in eurem Musikbereich Angriffspunkte gab, dann war es der eilfertige geschäftliche Pragmatismus vieler Bands. Ihr teilt ihn ebenfalls ein wenig, denn ihr habt einen Werbespot von Rockstar Energy vertont. Fat Mike von NOFX verweigerte sich auf dem Höhepunkt des Erfolges allen PR-Maßnahmen.
Stephan: Ich denke, wir brechen in bester Fat-Mike-Tradition dieses Gespräch nun ab. Ciao!(lacht) Aber im Ernst: Wir können uns überhaupt nicht in die Lage von NOFX versetzen, weil wir niemals so viel Erfolg hatten.
Sehr strenge Menschen hinterfragen Sponsoring und sehen Rockstar als Teil des Establishments. Die Firma unterstützt BMW und wird vertrieben von der Pepsi Company. Aber gut, ihr seid keine sozialistische Skatepunk-Band wie Propagandhi. Diese Deals helfen offenbar viel, oder?
Tim: Rockstar hat uns Türen geöffnet, die wir niemals von alleine hätten aufstoßen können, allein die ganzen Auftritte bei Rock am Ring. Durch sie sind wir einem breiteren Publikum zugänglich, was heute besonders Sinn ergibt, da wir mittlerweile mehr zu erzählen haben als die reinen Partythemen.
Das Gute am Skatepunk war immer, dass der Stil nicht nur Spaß ist, sondern stets das richtige Maß an Melancholie, Wehmut und Zorn enthält. Wie kriegt man es hin, dass die Stücke emotional tragen?
Tim: Zum einen hat man als Mensch niemals nur positive Erfahrungen gemacht. Zum anderen sind wir auch von melancholischer Musik geprägt. Gerade Männer, die im Ruhrgebiet groß geworden sind und diese Malochermentalität haben, immer hart sein zu müssen, können sich bei der Musik mal etwas von der Seele schreien.
Ein schönes Bild: Melodycore als der gute Kumpel, der dir zuhört und für dich da ist. Auf dem neuen Album verarbeitet ihr den Tod eines Freundes. Wenn jemand in so jungen Jahren stirbt, nehmen das manche als Weckruf, ihr eigenes Leben zu ändern.
Stephan: Dieser Effekt ist meistens ähnlich wirksam wie ein Warnhinweis auf einer Zigarettenschachtel. Natürlich weiß man, dass man sich zugrunde richtet, wenn man raucht. Fat Mike wusste auch, dass er die Drogen aus dem Kopf lassen sollte, wenn er und die ganze Szene miterleben musste, wie Tony Sly von No Use For A Name mit 43 Jahren aufgrund einer Überdosis verstirbt. Doch lässt Mike deswegen die Drogen aus dem Kopf? Nein. Manche reagieren vielleicht anders, aber die meisten nicht.
Mit den meisten eurer eigenen Jugendhelden habt ihr mittlerweile die Bühne geteilt. Wie viel hat man mit den Kollegen rund um ein Konzert zu tun?
Cicka: Der Tournee-Alltag sieht häufig unspektakulärer aus, als man denkt. Mit Pennywise haben wir allerdings tatsächlich bis fünf Uhr morgens gesoffen und Geschichten ausgetauscht.
Stephan: Fletcher Dragge war erstaunlich offen und hat von dem Schock erzählt, den der Tod von Tony Sly ausgelöst hat. Allerdings zeigte er uns auch ein Foto davon, wie Fat Mike auf dem Golfplatz ins 18. Loch scheißt.
Bei denen kann man sich nie sicher sein, ob deren Gitarrenlegende Fletcher Dragge einen nicht packt und aus Spaß gegen die Wand wirft.
Tim: Da hatten wir Glück. Aber es stimmt: Auf unserem Instagram findet man ein Bild, wie wir neben ihm auf dem Sofa sitzen. Es ist schon beeindruckend, um wie viel Mensch es sich bei ihm handelt.
Er meint es nicht böse. Er weiß nur nicht, wieviel Kraft er hat. Charakterlich ist er eher ein Buddha, oder?
Stephan: Ja, ein gemütvolles Riesenbaby. Er war erstaunlich offen und hat auch von dem Schock erzählt, den der Tod von Tony Sly ausgelöst hat. Allerdings zeigte er uns auch ein Foto davon, wie Fat Mike auf dem Golfplatz ins 18. Loch scheißt.
Ein Vorteil von Bands wie euch in Spotify-Zeiten ist, dass ihr eindeutig einem Stil zuzuordnen seid. Wie, wenn man an der Trinkhalle ein Paderborner bestellt. Obwohl, Paderborner seid ihr nicht.
Cicka: Wir sind eine Mischung aus DAB, Veltins und Beck’s. Mit Cola.
Helge: Kein DAB. Brinkhoff’s.
Ist euch schon mal aufgefallen, dass Brinkhoff’s wie Hanf riecht? Noch mehr allerdings wie Trompetenbaum. Frisch beschnittener Trompetenbaum.
Cicka: Dann muss ich mir auf der Stelle einen Trompetenbaum pflanzen.
Wie viel trinkt man noch, wenn man so professionell spielt wie ihr?
Helge: Bei uns gilt die Regel: Bier ab Bühne. Also nicht vorher.
Cicka: Als Schlagzeuger würde ich es hinkriegen, wenn ich nur den Grundtakt halten müsste, doch da sind schon ein paar technische Raffinessen dabei. Mehr als zwei Flaschen während des Konzerts wären nicht ratsam. Nach dem Auftritt kenne ich aber kein Halten mehr.
CD Insert Coin: „Way Out“ | Konzerte: 31.10. Hagenbusch Marl | 9.11. Bochumer Rotunde
Zur Gruppe
Insert Coin aus Recklinghausen spielen formvollendeten, energetischen Skatepunk oder Melodycore, wie man ihn sonst aus Kalifornien kennt. Seit 2007 haben sie sich bis auf die Bühne von Rock am Ring hochgearbeitet, füllen aber auch den Hut in der Kulturkneipe Drübbelken beim Unplugged-Konzert.
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