Erfrischend anders
„Visitor Q“ in Dortmund
„Visitor Q“ ist der kontroverse Film des japani- schen Regisseurs Takashi Miike, in dem den Zuschauern/Voyeuren eine Familie am Abgrund präsentiert wird: inzestuöse Beziehungen, Ne- krophilie, Gewalt, Drogen, Prostitution und ein Vater, der diesen bizarren Verfall der bürgerlichen Werte mit der Kamera dokumentiert, um seiner Karriere als Fernsehproduzent auf die Sprünge zu helfen. Die gleichnamige Theater- adaption am Dortmunder Schauspielhaus ist aus „Schutz des sittlichen Empfindens“ erst ab 18 freigegeben. Schutz der Jugend ohne Gott vor dem Theater? Das ist neu. Aber einen pro- vokanten Film auf die Bühne hieven – Tod und Schlussverkauf sämtlicher Utopien (mal wie- der) nackt von traurigen Gestalten von der Bühne geschrien – muss das sein? Absolut! Denn die kluge Inszenierung von Martin Laberenz geht gnadenlos und dabei herrlich selbstiro- nisch mit dem eigenen Medium ins Gericht. Zunächst starrt man, über die Videokamera auf dem Boden kauernd, auf einen mit schwarzen Folien beklebten Kasten. Monitore liefern Ein- blicke. Nach und nach werden die Folien abge- zogen, und das Geschehen verlagert sich vom Bildschirm über den Schaukasten aus dem Würfel heraus in den Zuschauerraum und wirft dabei gekonnt Fragen auf, ohne Antworten vor- zuplappern, denn was ist denn nun (Theater-) Raum, was ist Bühne, was ist wahr? Die Kamera wechselt virtuos die Perspektive. Und immer wieder Fragen: Was stellt wer wie dar? Was ist darstellbar? Was wie interpretieren und dechif- frieren? Was ödes Diskurstheater hätte werden können, ist hier ungezwungen und amüsant. Und ja, man bekommt nackte Menschen und Szenen mit Pornodarstellern zu sehen. Schock- ierend und obszön ist das aber nicht. Vielmehr wird sich hier mit dem Sinn oder Unsinn von Körperlichkeit, mit der Symbolik von Sex für gesellschaftlichen oder moralischen Zerfall auseinandergesetzt. Dass das nicht unange- nehm bemüht, sondern feinfühlig und komisch ist, ist den wunderbaren Schauspielern zu ver- danken. Ein Stück, das reflektiert, ohne blasiert zu sein, das sich selbst nicht zu ernst nimmt, ohne dabei albern zu werden, das unkonventio- nell ist, ohne dabei gewollt innovativ zu wirken. Wirklich sehenswert.
„Visitor Q” Sa 12.2. 20 Uhr Schauspiel Dortmund 0231 502 72 22
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