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Das ganze Leben ist ein Spiel um Verführung, Lust und Verlangen, aber man kann nicht jedes Wort mit Tanz ausdrücken
Foto: Gert Weigelt

„Es geht um Machos, aber auch um Frauen, die das Sagen haben“

22. Dezember 2011

Aalto-Ballettchef Ben Van Cauwenbergh hat drei internationale Top-Choreografen für ein Triple-Feature nach Essen geladen – Premiere 01/12

Sechs Männer, sechs Frauen und sechs Degen: Das sind die Tanzpartner in Jiří Kyliáns Ballett „Petite Mort“, das 1991 anlässlich des 200. Todestages von Mozart bei den Salzburger Festspielen präsentiert wurde. Der aus Tschechien stammende langjährige Direktor des Nederlands Dans Theaters spielt mit dem Titel „Petite Mort“ („Kleiner Tod“) darauf an, dass dies im Französischen ein Synonym für den Orgasmus ist. Sein Ballett handelt von Aggressivität und Sexualität, Energie und Stille, kultivierter Gefühlskälte und Verletzlichkeit – nicht ohne Anspielungen auf den Geist des Rokoko. Der Franzose Patrick Delcroix, lange Zeit Mitglied im Nederlands Dans Theater unter der Leitung von Jiří Kylián, kehrt zurück zum Aalto Ballett Theater Essen, um sein neues Stück „End-Los” als Uraufführung zu zeigen. „Rooster“ des Briten Christopher Bruce ist von Songs der Rolling Stones wie „Paint It Black“ oder „Lady Jane“ inspiriert. Die Hommage an die Musik und Zeit der Sixties hat er 1991 für das Ballett des Genfer Grand Théâtre geschaffen. Es ist ein Spiel um Verführung, Lust und Verlangen. Bruce sieht die männlichen Tänzer als herausgeputzte Gockel, auf die die Hennen mit Ironie und wissendem Amüsement schauen, um gelegentlich Revanche zu fordern. Drei Choreografen, drei Stücke, ein Abend: Das internationale Choreografen-Meeting „Zeitblicke“ hat im Januar im Aalto Theater Premiere. trailer sprach mit Ballettchef Ben Van Cauwenbergh.

trailer: Herr Van Cauwenbergh, drei choreografische Positionen an einem Abend. Ist das nur Abwechslung?
Ben Van Cauwenbergh:
Der Grund ist, dass wir drei verschiedene Choreografien haben. Schon von der Musik her sind es drei unterschiedliche Stücke, aber auch choreografisch sind sie sehr verschieden. Als dreiteiliger Abend ist das besonders interessant, auch weil eigentlich versucht wird, von einem Stück zum anderen eine Brücke zu ziehen. Der Abend heißt „Zeitblicke“, weil er sich in viele Richtungen aufmacht, und ich bin stolz darauf, drei internationale Top-Choreografen hier in Essen zu haben.

Erzeugt die Zusammenstellung auch Spannungen unter den drei Choreografien?
Allein für die Tänzer aus dem Ensemble ist es durchaus schwierig, die verschiedenen choreografischen Stimmungen an einem Abend umzusetzen. Die Arbeiten erfordern auch verschiedene Techniken, moderne und klassische Elemente. Barfuß zu tanzen, ist zum Beispiel für einen Tänzer, der das nicht gewöhnt ist, nicht einfach, aber das ist auch eine Herausforderung.

Wie kommt man unter dem Begriff „Zeitblicke“ genau auf diese drei Choreografen?
Das hat sich aus der Erfahrung mit „Lichtblicke“ entwickelt, einem zweiteiligen Abend in der letzten Spielzeit, in dem es um Licht am Ende des Tunnels ging. Im Vordergrund bei „Zeitblicke“ stehen eher Emotionen, Verluste und der Moment, wenn man denkt, dass eigentlich alles gut läuft und es einem dann doch noch aus den Händen rutscht. Wir benutzen die Blicke in die Zukunft eben auch mit dem Schwerpunkt Zeit.

Ben Van Cauwenbergh
Foto: Sebastin Szczepansky
  Ben Van Cauwenbergh wurde in Antwerpen geboren. Als Sohn der Tänzerin Anna Brabants erhielt er bereits frühzeitig Ballettunterricht. 1976 errang er beim internationalen Ballettwettbewerb von Varna die Silbermedaille sowie die Goldmedaille beim renommierten „Prix de Lausanne“. Von 1978 bis 1984 war er Erster Solist des London Festival Ballet (heute English National Ballet) und tanzte dort gemeinsam mit Rudolf Nurejew in der in enger Zusammenarbeit entstandenen Produktion „Romeo und Julia“. 1984 kehrte Ben Van Cauwenbergh an das Königliche Ballett von Flandern zurück und wurde vom Magazin „Dance and Dancers“ zum Tänzer des Jahres gewählt. 1987 wechselte er als Erster Solist zum Ballett von Bern, 1989 als Ballettdirektor und Chefchoreograph nach Luzern. Von 1992 bis 2007 arbeitete er als Ballettdirektor und Chefchoreograph am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Seit der Saison 2008/09 ist Ben Van Cauwenbergh Ballettdirektor des Aalto Ballett Theaters Essen.

Und dann ruft man die Choreografen an und sagt, diese oder jene Arbeit will ich haben?
Nein, wir haben grundsätzliches Interesse an bestimmten Choreografen. Die Arbeit „Petite Mort“ von Jiří Kylián kennen wir beispielsweise alle, und das ist dann ein Traum für den Ballettdirektor, wenn meine Kompanie das tanzt. Dann versuchen wir, das Programm darum zu bauen und weil wir für das Ende des Abends etwas extrem anderes wollten. Zwar einen Knaller, der aber auch inhaltlich begründet ist, deshalb sehen und hören die Zuschauer dort mit „Rooster“ von Christopher Bruce auch die Rolling Stones. In der Choreografie geht es um Machos, aber auch um Frauen, die das Sagen haben. Zusätzlich haben wir das Glück, dass wir mit „End-Los“ von Patrick Delcroix eine Uraufführung zeigen können. Dabei denkt man immer auch ans Publikum und natürlich an die Kompanie und fragt sich, ob sie die Stücke tanzen kann.

Zwei der Choreografien sind bereits vor zehn Jahren uraufgeführt worden. Wie zeitgenössisch bleiben die über die Zeit?
Das ist eine sehr gute Frage. Das ist wie bei einem Gemälde. Ist das ein gutes Gemälde, dann kann man es immer noch anschauen. Oder wie Musik von Bach oder Mozart, die bleibt auch immer sehr schön. Choreografien können vielleicht schon alt sein, aber wenn sie gut getanzt sind, mit tänzerischer Qualität, dann kann man nichts falsch machen.

Verändern sich die Choreografien auch im Laufe der Zeit?

Ich glaube, es werden vielleicht kleine Details verbessert, aber im Grunde bleiben sie so, wie sie sind.

Ein Wort noch zu Patrick Delcroix und seinem neuen Stück „End-Los“. Worum geht es da?
Es geht bei ihm wahrscheinlich um eine Beziehung. Wenn man glücklich ist und diese Person auf einmal nicht mehr da ist. Das ist Patrick Delcroixs Grundidee. Seine Choreografie ist sehr stark und spannend, manchmal auch aggressiv, und die Musik ist toll.

Benutzt Tanz eigentlich immer narratives Material?
Wir sprechen in erster Linie mit den Körpern.

Bei Rooster werden die Lieder der Stones nur reflektiert?
Sie werden tänzerisch umgesetzt. Ich bin selbst ein Choreograf, der sehr gerne auf Chansons choreografiert. Auf Lieder von Edith Piaf oder Jacques Brel, wie bei meinem Abend „La vie en rose“. Man muss nicht unbedingt alles verstehen, was gesagt oder gesungen wird, aber die visuelle Richtung wird durch das Lied vorgegeben. So ist es auch bei Christopher Bruce.Natürlich sind die Songs da, und sie haben einen Text. Aber man kann nicht jedes Wort mit Tanz ausdrücken. Der Text und der Rhythmus motivieren und inspirieren den Choreografen. „Rooster“ ist der Hahn, der das Sagen hat. Das zieht sich durch die Arbeit, aber die Frau ist auch immer da, so wie wir das vielleicht von zu Hause kennen, wir sind nicht immer der Hahn, der das Sagen hat (lacht). Also ist das eigentlich ein sehr realistisches Spielchen. Und die Inspiration kommt von der Musik. Ich habe auch einen sehr erfolgreichen Abend über „Queen“ gemacht. Bei Freddie Mercury ist das vielleicht noch anders, weil er noch andere Ideen über das hatte, was er singt. Aber ich habe das für mich interpretiert, was ich zum Beispiel über „I want to break free“ denke.

„Zeitblicke“ I Premiere Sa 21.1., 19 Uhr I Aalto Theater Essen I 0201 812 22 00

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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