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Zwiegespräch der Buddenbrooks
Foto: Ursula Kaufmann

Familie mit Verfallsdatum

29. September 2011

„Die Buddenbrooks“ im Prinz Regent Theater - Theater Ruhr 10/11

Kann man sich derart irren? Emotional, moralisch und ökonomisch? Die junge Tony Buddenbrook (Lydia Schamschula) in knielangem Faltenrock und ärmelloser Bluse ist eigentlich eine lebenshungrige junge Frau, die voller Elan die Familie durcheinander wirbelt – und die aus Familienräson zunächst den Pleitier mit erpresserischem Gefühlslautsprecher Bendix Grünlich heiratet und schließlich das bajuwarische Faultier Permaneder. Beide entpuppen sich in der Interpretation von Christoph Wehr als chargierende Hochstapler, die die Buddenbrooks um ihr Geld bringen. „Ich habe abgewirtschaftet“ sagt Tony am Ende, und das meint dann mehr als nur den Ehegatten-Missgriff.

Das Prinz-Regent-Theater bringt stadttheaterlike „Die Buddenbrooks“ von Thomas Mann auf die Bühne, und Hausherrin Sibylle Broll-Pape setzt von Beginn an auf Untergang. Ein Matrosenjunge, der sich später als Thomas’ Sohn Hanno entpuppt, zitiert das „Bucklicht Männlein“, der langsame Satz aus Mahlers 5. Sinfonie rauscht auf: Nein, wir sind nicht in Viscontis Verfilmung von „Der Tod in Venedig“, aber das Verfallsdatum der Familie ist unüberhörbar, auch wenn Jean Buddenbrook (Frank Trunz) als Patriarch und seine Frau Bethsy (Renate Becker) in ihren Kostümen ganz heutig wirken. Bürgerlichkeitsgestus und Familientradition gehen Hand in Hand, der patrizische Dünkel ist nur noch fernes Wetterleuchten. Und wie das bei Bürgern so ist: Es wird viel gesessen, familiär und berufsmäßig. Als Dekoration (Ausstattung: Trixi Royeck) genügen ein paar Stühle am Rand, die für Zwiegespräche in der Mitte zusammengeschoben werden. Stehtermine sind die gemeinsamen Familienfotos.

Die Textfassung von John von Düffel konzentriert sich ganz auf die Generation von Jean, Bethsy und ihren Kindern Christian, Thomas und Tony. Den dadurch verlorenen Zusammenhang zu den vorhergehenden Generationen versucht die Bochumer Inszenierung durch Projektionen des Stammbaums, von Geschäftszahlen, Fotos, aber auch einem abgefilmten kleinen Bühnenmodell wettzumachen, in dem Hanno die Familienfiguren wie Spielfiguren herumschiebt. Das bleibt allerdings Hintergrundrauschen, im Zentrum stehen eindeutig die Schauspieler. Nach dem Tod Jeans rücken die Söhne Christian und Thomas ins Zentrum. Christian im Samtanzug ist bei Stephan Ullrich ein die Karikatur streifender Neurastheniker. Hypochondrisch zückt er seine Medikamentenbatterie und verkleidet seine selbstverliebte Ironie in Scheinnaivität. Dem steht leicht manierierte Härte von Thomas (Wolfram Boelzle) gegenüber, die in Gestik, Mimik und Sprechduktus einen leichten Zug zur Pose besitzt und sich erstaunlich gut mit der kühlen Gerda der Katrin Schmieg paart. Was letztlich den Verfall ausmacht, ist in Bochum schwer zu sagen. Thomas Manns Familien-Burnout wird als fortwährendes Andante erzählt, nie langweilig, aber doch ohne Akzentuierungen. Das ist zwar gekonnt rhythmisiert, mit Familienfotos, Musikeinsatz, dem Bucklicht-Männlein-Märchen, doch geht der knapp dreistündigen Inszenierung am Ende ein wenig die Luft aus.

„Die Buddenbrooks“ | R: Sibylle Broll-Pape | Prinz Regent Theater | 14./15.10, 19.30 Uhr/16.10., 19 Uhr

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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