Das be- und verzaubernde Illusionstheater entsteht durch ein effektvolles Bühnenbild (Jan Steigert), bei dem Nebelschwaden zum Meeresrauschen werden und Leinwände eine verwunschene Unterwassertraumwelt auferstehen lassen, selbst ein schnöder Umbau wird zum Hingucker. Die einfallsreichen Kostüme (Yvette Schuster) wie eine Muschel in Omaspitze, eine punkige Krabbe oder eine nervöser Kugelfisch machen die Märchenwelt perfekt. Nur das durch und durch glitzernde Kleid der laufenden Meerjungfrau ist vielleicht etwas viel. Die Zauberwelt lebt aber nicht nur vom Bild, sondern vor allem von der Musik, die äußerst charmant szenisch eingesetzt wird.
Die Bühnenfassung Jörg Schrades (Regie: Martina Eitner-Achaempong) lehnt sich doch recht stark an Disney an und verzichtet auf jegliche Melancholie à la Andersen. Das Geschehen wird gerahmt durch das Motiv des romantischen Widerstandes gegen die Vernunft. Bereits in der ersten Szene appelliert der Hofmarschall, seines Zeichens ein übler Philister, an die (erwachsene) Vernunft: Regeln, Vorschriften, keine Märchen, kein Zauber. Dagegen sträubt sich der adrette Prinz: eine Vernunftheirat, um seine finanziellen Nöte zu beseitigen? Niemals! Aber auch auf der anderen Seite des Meeresspiegels wird aufbegehrt. Die kleine Meerjungfrau (Laura Maria Hänsel) brennt vor Neugierde auf die Menschenwelt und seit ihrem verbotenen Ausflug an die Meeresoberfläche ebenso vor Liebe zum Prinzen. Um diesen für sich zu gewinnen, bezahlt sie teuer bei der schaurig-schönen Meerhexe Gunilla mit ihrer Stimme und mit höllischen Schmerzen. Bis die beiden Königskinder zueinanderfinden, braucht es noch ein wenig Geduld und vor allem ein bisschen Hilfe von guten Freunden wie der Krabbe Sebastian oder Seemöwe Freddy. Das Happy End fügt sich bestens in eine vorweihnachtliche Stimmung, mutet aber auch etwas kitschig an. Nicht zuletzt, weil mal wieder weibliche Opferbereitschaft mir der (ersehnten) Ehe belohnt wird. An einem so kreativen Abend hätte man sich da mehr Einfallsreichtum gewünscht. Das Spektakel endet konsequent mit dem zertrümmerten Weltbild des Hofmarschalls: Die Märchenwelt gibt es eben doch. Ein schöner Sieg der Fantasie über die Vernunft, der über so manche Überzuckerung hinwegsehen lässt und mit tosendem Premierenapplaus und euphorischem Getrampel belohnt wurde.
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