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Die Maschinen erzählen ihre eigene Geschichte
Foto: Asle Nilsen

Fast asiatische Theaterspiele

01. August 2010

Frie Leysen kuratierte für das "Theater der Welt" ein aussergewöhnliches Festival-Highlight - Theater Ruhr 08/10

Oral. Anal. Live gespritztes Sperma. Eine Stunde Pornografie ohne Text. Als Metapher einer Gesellschaft, in der ein Mensch zur Ware geworden ist. Ob als Sexobjekt oder Sklave in der Arbeitswelt. Freigesetze Tiere agieren so, deren Hackordnung Macht ist. Gesellschaftsanalyse ohne Worte nennt das der japanische Theaterperformer Daisuke Miura. „Yume no shiro“, das „Schloss der Träume" bleibt beim „Theater der Welt“ – Festival sicherlich umstritten – im positiven Sinn. Überhaupt setzen die asiatischen Theatermacher die Knaller. Sei es das Kollektiv FaiFai mit seinem quietschbunten Knallpopdrama „My Name is I love you“, bei dem zwei Roboter, die in der Sexindustrie arbeiten, einem Technoboy den Kopf verdrehen. Alles auf neun Quadratmetern Bühnenfläche, alles ohne Netz und doppelten Boden, nur der Riesenpenis war hier allerdings aus Latex. Ihn konnte man aber hinterher im quietschbunten FaiFai-Shop erstehen. Oder sei es das Achtstunden-Opus „Memory“, ein Tanztheater von Wen Hui, Wu Wenguang, Feng Dehu aus Peking, die eine ziemlich anstrengende Reise durch die Geschichte der Kulturrevolution choreografierten.

Was Künstler teilen, ist die Zeitgenossenschaft, die Zeit, in der wir leben. Das Theater der Welt setzte auf die individuellen Perspektiven der Künstler. Außer wenigen bekannteren Namen wie Kentridge, Litscher, Klunchun hat die belgische Theaterfrau fast ausschließlich unbekannte KünstlerInnen eingeladen. „Ich bin eher neugierig darauf, wie junge Künstler, die in urbanen Kontexten leben, verteilt über die ganze Welt zwischen Buenos Aires und Tokio arbeiten,“ sagt sie. Ein Fazit des Festivals könnte also lauten: Zeitgenössisches Theater ist überall auf der Welt interdisziplinär, die Grenzen zu anderen Gattungen und Formaten sind schwer bestimmbar. Theater, Oper, Konzert, Installation, Film, Party – um Unterscheidung oder Überschreitung geht es hier eigentlich auch nicht mehr, Hybridität scheint selbstverständlich.

Viele der Künstler sind Autoren, Regisseure, Bühnenbildner und Darsteller in Personalunion. Schauspielkunst im traditionellen Sinne sieht man eher selten, in den Arbeiten performen Apparate, Kunststudenten, Stofftiere, Musiker, marokkanische Aïtas – doch vermisst hat man die Schauspielheroen eher selten, dafür haben diese Theaterformate das Potential, darstellende Kunst auch für ein junges Publikum interessant zu machen. Wie bei der Antwerpener Gruppe „Berlin“, die gleich mit zwei Arbeiten bei Theater der Welt zu Gast war. Sie hat eine eigene filmische Theatersprache zwischen dokumentarischer Performance und Video-Installation entwickelt und ist dabei genauso außergewöhnlich und andersartig wie die norwegische Performancegroup Verdensteatret (Welttheater) aus Oslo, die erst einmal ziemlich wirre Klang-Apparaturen auf die Bühne von PACT Zollverein in Essen gebaut hatte. Poetischer Lärm, eine Symbiose aus Online-Video, Jean Tinguely und den frühen Einstürzenden Neubauten entstand daraus, die vorher verteilten Ohrenstöpsel wurden gern genutzt, waren aber nur selten nötig, denn die Romantik zwischen Witwenmaschine und Apparatur für trübes Wetter liebt auch die leisen Töne, reduziert auf ein Klicken hier und ein Surren da. Großartig.

Diese Euphorie einer außergewöhnlichen weltweiten Theaterschau, die das Innovative dem Arrivierten vorzog, konnte man am ersten Premierenabend noch nicht entdecken. Die mächtig beworbene Heldenoper in drei Akten nach einem Stoff von Friedrich II, mit der Musik von Carl Heinrich Graun, hat etwas enttäuscht. Barocke Musik, ein Epos über Montezuma, den letzen Aztekengottkönig, dessen Untergang zur Geburtsstunde des mexikanischen Volkes stilisiert wurde. Hier hielt die Inszenierung mit amerikanischer Grenzmauer und eingeblendeten Sponsorenlogos der Musik nicht stand, dank des ausgezeichneten Orchesters war es aber kein verlorener erster Abend.



Das „Theater der Welt“ gilt als das bedeutendste internationale Theaterfestival in Deutschland und wird seit 1981 alle drei Jahre in einer anderen deutschen Stadt oder Region veranstaltet. Ins Ruhrgebiet waren junge Künstler aus 25 Ländern eingeladen, die größtenteils zum ersten Mal in der Region zu Gast waren und deren Arbeiten nur selten den gängigen Theaterbegriffen entsprechen. Rund 12.700 Tickets wurden verkauft, was eine Auslastung von 75% bedeutet. Dazu kommen noch die Veranstaltungen und Kunstperformances im öffentlichen Raum, die bei freiem Eintritt ebenfalls mehrere tausend Besucher anzogen. Rund 250 Studierende von theaterwissenschaftlichen Instituten aus Deutschland und der Schweiz besuchten die Sommerakademie des Festivals. Zahlreiche deutsche und internationale Theaterschaffende, darunter Besucher aus Korea, Australien, Kanada und Singapur, nahmen die Gelegenheit wahr, bei Theater der Welt neue Talente zu entdecken. Für viele junge Künstler war das Ruhrgebiet ein Sprungbrett, das weitere internationale Gastspiele nach sich ziehen wird.

PETER ORTMANN

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