Inside
Griechenland, Deutschland, Belgien, Großbritannien, Schweiz 2023, Laufzeit: 105 Min., FSK 12
Regie: Vasilis Katsoupis
Darsteller: Willem Dafoe, Gene Bervoets, Eliza Stuyck
>> www.inside-derfilm.de/
Konzentriertes Kammerspiel mit Willem Dafoe
Mit sich allein
„Inside“ von Vasilis Katsoupis
Für eine oder maximal zwei Minuten wähnt man sich in einem klassischen Heist-Movie, also einem Thriller, der ernst oder komödiantisch, in jedem Fall aber actionreich aus der Sicht der Täter von der Planung und Durchführung eines Raubüberfalls erzählt. „Inside“ beginnt so: Ein Zeitstempel markiert Uhrzeit und Tag, Funksprüche sind zu hören, Hubschrauberrotoren tönen und im Bild ist die eindrucksvolle Skyline von New York zu sehen. Ein Hubschrauber hat in schwindelerregender Höhe den Meisterdieb Nemo (Willem Dafoe) auf einer Terrasse abgeworfen. Nach der Landung macht er sich gleich an die Arbeit: die Terrassentür und die damit verbundene Alarmanlage werden geknackt – und schon findet sich Nemo in einem unglaublich luxuriösen Penthouse wieder: die Decke ist beeindruckend hoch, die Einrichtung streng und offensichtlich sehr teuer. Auch die kühlen Betonwände sind stilvoll, aber Interesse zeigt Nemo nur an den Bildern, die daran befestigt sind. Drei Bilder von Egon Schiele soll er für seine Auftraggeber stehlen. Zwei sind schnell gefunden, das dritte, ein Selbstporträt, hängt allerdings nicht an der vermuteten Stelle. Eine kurze Suche endet ergebnislos. Ihm bleiben nur noch wenige Minuten, bis ihn der Hubschrauber wieder abholt, da geht die Alarmanlage los und alle Türen und Fenster schließen sich. Nemo, der überall hineinkommt, kommt jetzt nicht mehr raus.
Filme, die nur in einem Raum spielen, gibt es viele. Filme, in denen Protagonist:innen in einem Raum feststecken, schon deutlich weniger. Hirosi Teshigahara hat 1964 mit seinem Meisterwerk „Die Frau in den Dünen“ ein Paradebeispiel für die existentialistische Erzählung an einem Ort realisiert: Ein Forscher fällt in den Dünen in eine Mulde. Dort muss eine Frau täglich den Sand wegschaufeln, um nicht begraben zu werden. Von nun an ist ihm dasselbe Schicksal beschieden. Ebenfalls aus Japan kommt „Haze“ (2005) von Shin’ya Tsukamoto. Dort bewegt sich ein Mann mühsam durch ein Labyrinth aus Beton und Metall. In dem spanischen Film „Buried“ von 2010 versucht ein Mann, der lebendig begraben wurde, über Funk seine Retter zu sich zu dirigieren. David Finchers „Panic Room“ von 2002 kommt dem Szenario von „Inside“ vielleicht am nächsten. Während in Finchers Film die Bewohner aber von Einbrechern überfallen werden und sich vor ihnen in dem Bunker des Hauses verschanzen, ist der Protagonist in „Inside“ selber der im „Bunker“ gefangene Einbrecher. Es gibt auch kein Gegenüber. Da ist nur Nemo mit sich selbst allein. Wenn auch kein Mensch in der Luxuswohnung zu finden ist – Fische, ein musizierender Kühlschrank, ein kleiner Wald, eine Taube und vor allem zahlreiche Kunstwerke (für den Film wurden echte Werke wie für eine Ausstellung kuratiert) leisten ihm Gesellschaft. Nemo sucht zunächst nur nach Fluchtmöglichkeiten. Dann beginnt er, die Wohnung nach lebens- und überlebensnotwendigen Dingen abzusuchen: zunächst Wasser und Essen, dann Dinge, die ihm helfen, gegen die äußere und innere Verwahrlosung anzukämpfen. Ein Bildschirm mit Überwachungskameras des Hochhauses, in dem sich die Wohnung befindet, bietet ihm Ablenkung. Und die Kunst, mit der er zunehmend kommuniziert. Und schließlich wird er selber immer kreativer – nicht nur in Bezug auf die Ausarbeitung möglicher Fluchtwege.
Der komplett in den Kölner MMC-Studios gedrehte „Inside“ ist nach dem Dokumentarfilm „My Friend Larry Gus“ aus dem Jahr 2016 erst der zweite Kinofilm des griechischen Regisseurs Vasilis Katsoupis, der bislang vor allem Werbung und Musikvideos gedreht hat. Wie auch die Werke seiner Landsleute Giorgos Lanthimos („The Lobster“, „The Favourite“) oder Athina Rachel Tsangari („Chevalier“) hat sein Film einen düsteren, fatalistischen Grundton. Aber auch bei ihm sind spielerische Momente sehr präsent. Die bringt zum einen der großartige Willem Dafoe als One-Man-Show auf die Leinwand. Die finden aber auch durch die Objekte – nicht zuletzt die Kunstwerke – des sorgsam ausgestatteten Kammerspiels in den Film. Das Bedeutungsnetz, das hier geknüpft wird, kann einen noch lange nach dem Abspann beschäftigen.
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