Memory
USA, Mexiko, Chile 2023, Laufzeit: 100 Min., FSK 12
Regie: Michel Franco
Darsteller: Jessica Chastain, Peter Sarsgaard, Brooke Timber
>> www.mfa-film.de/kino/id/memory/
Zartes Drama über Traumata und Fürsorge
Erinnern und vergessen
„Memory“ von Michel Franco
Eigentlich will sie gar nicht hier sein, inmitten der Anderen, die sie an eine Zeit erinnern, an die sie nicht erinnert werden möchte. Und doch sitzt sie hier, alleine an einem Tisch, während alle auf dem Abitreffen die Tanzfläche stürmen. Dabei ist es nicht mal ihre High School-Feier, sondern die ihrer Schwester, die sie überredet hat, mitzukommen. Als Sylvia dann noch von einem Mann angestarrt wird, nimmt sie Reißaus. Doch der folgt ihr auf die Straße, in die U-Bahn und sogar bis vor ihre Haustür. Dort liegt er noch am nächsten Morgen, völlig durchnässt und verfroren. Saul ist dement und weiß weder, wie er hierher gekommen ist, noch, wie er nach Hause kommt.
Bereits die erste Szene im neuen Film des mexikanischen Regisseurs Michel Franco löst so starke und so unterschiedliche Gefühle aus, dass man sich nur schwer orientieren kann. Da geht es den Zuschauer:innen nicht anders als den Protagonist:innen des Films. Unbehagen, Angst und Verlorenheit, aber auch Fürsorge wechseln in irritierender Abfolge. Letzteres ist für Sylvia, in all ihren emotionalen Facetten großartig von der Oscar-Preisträgerin Jessica Chastain gespielt, der Alltag: Sie arbeitet als Sozialarbeiterin in einem Heim für Menschen mit psychischen Störungen. Auch kümmert sich die alleinerziehende Mutter liebevoll um ihre pubertierende Tochter – vielleicht aber auch etwas zu sehr. Sie will sie von Jungs fernhalten, und Partys sind ein Tabu. Warum das so ist, erfahren wir über Sylvias Besuche bei den Anonymen Alkoholikern, zu deren Treffen sie seit Jahren geht: Als Jugendliche hat sie sexuellen Missbrauch erfahren. Dieses Trauma hat sie jahrelang von einem freien Leben abgehalten. Durch Disziplin und ein wenig Härte hat sie ihr Leben jetzt wieder im Griff. Nach dem Vorfall mit Saul (Peter Sarsgaard, ausgezeichnet als bester Darsteller in Venedig) fragt dessen Familie, ob sie sich vorstellen könne, ihn zu betreuen. Ihr Anblick hat bei Saul etwas ausgelöst, er fühlt sich anscheinend wohl bei ihr. Als Sylvia ihn besser kennenlernt, scheint sie in ihm einen ihrer Peiniger aus der Schulzeit zu erkennen. Die alten Wunden reißen wieder auf. Doch Saul kann sich an nichts erinnern. Oder will er sich nur nicht erinnern?
Michel Franco schildert sehr realistisch das Lebensumfeld seiner beiden Hauptfiguren. Hier die sich streng regulierende Sylvia, die ihr etwas karges Leben gerade so zu meistern scheint und die Menschen um sich herum – zuallererst ihre Familie – immer auf Abstand hält. Dort der finanziell gut ausgestattete Saul, der zwar Angst vor seiner eigenen Demenz hat, aber auch nicht von seiner Familie abgeschottet werden möchte. Das Publikum muss in „Memory“ einige überraschende Wendungen schlucken. Das lohnt sich bei diesem ungewöhnlichen Liebesfilm nicht nur dank der glaubwürdigen und zarten Charakterzeichnung und der tollen Darsteller:innen.
(Christian Meyer-Pröpstl)
Hagener Bühne für den Filmnachwuchs
„Eat My Shorts“ in der Stadthalle Hagen – Foyer 11/24
Ruhrgebietsfilmgeschichte erleben
„Glückauf – Film ab!“ im Essener Ruhr Museum
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Filmfestivalmonat November
Mit der Duisburger Filmwoche, Doxs! und dem Blicke – Filmfestival des Ruhrgebiets – Vorspann 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Reise in die Seele des Kinos
Die Ausstellung „Glückauf – Film ab“ in Essen – Vorspann 10/24
Programmkollaps
Vergraulen immer komplexere Kinoprogramme das Publikum? – Vorspann 09/24
Zurück zum Film
Open-Air-Kinos von Duisburg bis Dortmund – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24
„Poor Things“, reiches Cannes
Eine Bilanz der ersten sechs Kinomonate – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Ewige Stadt, ewiges Kino
In Rom werden aus alten verlassenen Kinos wieder Kinos – Vorspann 06/24
Ein letzter Blick von unten
„Vom Ende eines Zeitalters“ mit Filmgespräch im Casablanca Bochum
„Wir erlebten ein Laboratorium für ein anderes Miteinander“
Carmen Eckhardt über „Lützerath – Gemeinsam für ein gutes Leben“ – Portrait 05/24
Grusel und Begeisterung
„Max und die wilde 7: Die Geister Oma“ mit Fragerunde in der Schauburg Dortmund
Wenn Kino Schule macht
Die Reihe Filmgeschichte(n) spürt Schulgeschichten auf – Festival 05/24
Der Kurzfilm im Rampenlicht
Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen 2024 – Vorspann 05/24
„Ich wollte die Geschichte dieser Mädchen unbedingt erzählen“
Karin de Miguel Wessendorf über „Kicken wie ein Mädchen“ – Portrait 04/24
Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Kölner Filmpalast – Foyer 04/24