Saint Jacques ... Pilgern auf Französisch
Frankreich 2005, Laufzeit: 112 Min., FSK 6
Regie: Coline Serreau
Darsteller: Artus de Penguern, Muriel Robin, Jean-Pierre Darroussin, Pascal Légitimus, Marie Bunel, Marie Kremer, Aymen Saïdi, Nicolas Cazalé
Kultur-Nihilismus
Matt513 (266), 20.12.2015
An der Ausleihe drüber gestolpert; 'kannte ich bisher noch gar nicht. Je länger ich drüber nachdenke, umso mehr komme ich ins Grübeln, was ich von dem Film nun halten soll.
Als Komödie zunächst mal gar nicht schlecht, mit durchweg guten und auch glaubwürdigen Schauspielleistungen sowie ganz gelungenen Ansichten des französischen Wegs ab Le Puy (den Teil ab St. Jean rafft man dann SEHR sportlich zusammen; u.a. immerhin die Route Napoléon, Burgos, die Meseta, das Cruz de Ferro, der 'verrückte Tempelritter'). Von der Handlung her völlig vorhersehbar. Ich habe nach mehreren Stichproben mittlerweile den Eindruck, daß das Erfolgsrezept französischer Komödien darin besteht, daß sich ein paar erstmal richtig kabbeln müssen, um hinterher (wieder) ein Herz und eine Seele zu sein. Muß das wirklich so sein? Hatte ich 'meine' lieben Franzosen so wenig kennengelernt; ist mir da ein Zug zur Streitlust am französischen Wesen entgangen?
Was nicht eben positiv auffällt, ist der kirchenfeindliche Ton einerseits. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß einem Fußpilger nach dem schweren Gang über die Pyrenäen die Unterkunft in der Klosterherberge von Roncesvalles verweigert würde, nur weil er keine 'genehme' Hautfarbe hat. Sorry Leute. Wer sowas kolportiert, war selbst nie auf dem Weg. Zu Claras Tirade gegen die Kirche gleich zu Beginn des Films; auch dies ist so prominent gesetzt, daß man da nicht so einfach drüber hinwegsehen kann.
Was dagegen verwundert, sind die Bezüge auf den Islam andererseits in einem Film, der einen christlichen Wallfahrtsweg als Rahmen hat, stets wohlwollend. Mittendrin plötzlich orientalische Klänge, vollverschleierte Frauen in den Traumsequenzen sowie zwei nette, etwas einfältige Araberjungs, die offiziell nach „Santiago de Mekka“ mitgehen wollen, inoffiziell aber nur hinter einer der blonden Pilgerinnen her sind, welche von ihnen Müffen genannt werden (immerhin nicht Kafirah, 'ist doch was). Och, und mitten in der Meseta sagt der eine zum anderen, obige Clara habe gesagt, der heilige Jakobus war ein Drecksack, genannt Matamoros oder Maurentöter. Sogar ein Denkmal gäbe es, wo der böse böse Jakobus die armen armen Mauren prügelt. Abgesehen davon, daß das mit dem Denkmal stimmt (und es von diesem Motiv nicht nur eines, sondern gleich mehrere entlang des Wegs gibt), es ferner im Zuge der Reconquista durchaus vorkam, daß Persönlichkeiten als Streiter gegen die maurischen Besatzer dargestellt wurden – wenn die Drehbuchschreiber sich bei Jakobus nun ausgerechnet darauf kaprizieren, warum bleibt dann unerwähnt, was die Mauren überhaupt in Spanien zu suchen hatten, ganz zu schweigen davon, was sie ihrerseits mit der nichtmuslimischen Bevölkerung anstellten? Warum diese Einäugigkeit?
Am Ende kommt man am Monte do Cozo an, einer der Jünglinge besteigt das Denkmal, welches anläßlich der Pilgerreise Papst Johannes Paul II. dort errichtet wurde und ruft begeistert: Allahu akbar! Es kann und darf natürlich jeder Muslim seinen verehrten Gott anrufen, aber nochmal, was bitte hat das ausgerechnet in einem Film über den Jakobsweg zu suchen? Und warum preisen nur die braven Muslime ihren Gott, während alle anderen sich verbiestert-atheistisch geben? Warum darf im Film ein Glaube ausgelebt werden, ein anderer nicht? Weil die Kirche in den Köpfen der Drehbuchschreiber (s. Claras Auslassung) ein Hort von Bigotterie und Päderasie ist? Was soll dieser Kultur-Nihilismus? Daß der abendländische Wertekanon christlich geprägt ist, Barmherzigkeit, Nächstenliebe und so, das läßt sich nicht leugnen. Kann dann jemand ihre eigenen kulturellen Wurzeln nur ertragen, wenn man sie mit einer anderen Kultur überklatscht? Und meinten die Drehbuchautoren etwa, Fälle von Kinderschänderei und Bigotterie gäbe es nur bei den Christen?
Ich frage mich, wie dieser Film aussehen würde, wäre er dieses Jahr entstanden, nachdem nette, etwas einfältige Araberjungs mit einäugigem Blick auf die Welt „Allahu akbar“ riefen, bevor sie in Paris ihre Maschinenpistolen entsicherten. Wahrscheinlich immer noch genau so. Denn es kann (in den Köpfen politisch-korrekter Salonphantasten) nicht sein, was nicht sein darf.
P.S.: Dieser Tage kommt ein neuer Film zum Jakobsweg in die Kinos, welcher über derartige Verdachtsmomente erhaben sein dürfte. Jener dürfte beschreiben, wie ein lt. schriftlicher Selbstauskunft „untrainierter Moppel“ (der aufgrund seiner Neigung auch nie seinen Frieden mit der Kirche machte) auf dem Weg häufig von der motorisierten Fortbewegung Gebrauch macht, das weiche Hotelbett dem harten, schmuddeligen Pilgerherbergslager (igitt!) vorzieht und sich, welch Kontrast zum frugalen Pilgergang, regelmäßig den Bauch mit lokalen Köstlichkeiten vollschlägt. Pilgern nach Santiago, das wird man dort sehen, geht eben auf vielfältige Weise.
Blasen am Fuß
Colonia (683), 14.11.2008
Pilgern im Kino kann man mittlerweile international: Nicht nur "auf Französisch", sondern neuerdings auch auf Japanisch ("88 - Pilgern auf Japanisch"). Und "Ich bin dann mal weg" wird natürlich verfilmt. Sinnsuche in Wanderschuhen extended.
Seit über einem Jahr läuft "Saint Jacques" im Kino. Das spricht für den Film. Und tatsächlich handelt es sich um eine über weite Strecken kurzweilige Komödie mit interessanten Figuren.
"Großes Kino" ist anders, aber einen sehr hübschen kleinen Film hat "Drei Männer und ein Baby"-Erfinderin Coline Serreau da gemacht.
www.kalk-kultur.de
Witzig und anrührend
marmibo (21), 19.11.2007
Ich stimme meinen beiden "Vorkritikern" voll zu. Ein absolut sehens- und empfehlenswerter Film.
gelungen
gobi (5), 10.10.2007
Ein schöner Film.
Kein Meisterwerk zwar, doch es gibt reichlich Wortwitz, eine überaus komische Prügelszene, das Wieder-Zueinanderfinden von Geschwistern, die sich feindlich gegenüberstanden und die anrührende Geschichte eines jungen Analphabeten.
Keine Sekunde Langeweile,schöne Bilder der französischen und spanischen Provinz, viel gelacht und am Ende geweint - unbedingte Empfehlung meinerseits.
Saint Jacques de Mekka...
07Elaine (7), 28.09.2007
... suchen die Einen, Vergessen die Anderen - und die 3 wegen einer Erbschaft angetretenen Protagonisten suchen nicht, sondern finden eher: sich selbst. Ein Film der durch Dialoge und sehr gute Schauspieler überzeugt - ein MUSS.
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