Nach „Poor Things“ tut sich Regisseur Yorgos Lanthimos wieder mit seinem alten Weggefährten Efthymis Filippou zusammen. Beide haben mit „Kinds of Kindness“ ein filmisches Triptychon der besonderen Art ersonnen: Drei kurze Spielfilme in einem, in denen ein geheimnisvoller Mann namens R.M.F. verbindendes Element und Garant desselben Universums ist. Zugleich stemmen die Hauptdarsteller:innen (darunter Emma Stone, Jesse Plemons, Willem Dafoe und Margaret Quatley) in wechselnden Rollen alle drei Kapitel. Die erste Geschichte erzählt von einem Angestellten, der sich seinem Chef bis hinein in die intimste Lebensplanung unterwirft. In der zweiten Episode kehrt eine Frau nach einem Schicksalsschlag seltsam verändert zu ihrem Ehemann zurück, was die Beziehung herausfordert. Im finalen Kapitel sucht eine Sekte ihre Erlöserin, während eines ihrer Mitglieder um die Zugehörigkeit bangen muss. Erneut schöpft Lanthimos aus dem sozialen Gerüst, in dem sich der zivilisierte Mensch eingerichtet hat, und verkehrt die Regeln des Miteinanders genüsslich, verstörend und auch mal blutig ad absurdum bis in die Dystopie. Wieder fächert er die Kehrseiten vom kollektiven Miteinander und von der Sehnsucht nach Zugehörigkeit auf und transferiert die Auswüchse von Abhängigkeit innerhalb einer übersteigerten Hierarchie in irrwitzige Fabeln. Die Sehnsucht nach der stabilen, unerschütterlichen, konfliktfreien Komfortzone in Partnerschaft, Arbeits- und Lebenswelt mutiert unter den grausamen Clowns Lanthimos und Filippou zur Sehnsucht nach einem Leben ohne Verantwortung.
Etwas Schreckliches ist an der Schule passiert. Und darin ist Lars (Jona Levin Nicolai), Sohn der erfolgreichen Dirigentin Nina (Maren Eggert), involviert. Ob als Täter oder Zeuge bleibt erst mal offen – aber traumatisiert ist er. Obwohl ihr größtes Konzert bevorsteht, beschließt Nina eine gemeinsame Auszeit auf einer Ferieninsel. Dort ist es in der Nachsaison jedoch düster und verlassen. Der heulende Wind, die peitschenden Wellen und die Untermalung mit Mahlers Musik spiegeln den inneren Aufruhr und die Verzweiflung der Protagonisten wider, die mit jeder Filmminute zunehmen. Hanna Slak erzählt in „Kein Wort“ eine aufwühlende Mutter-Sohn-Geschichte, die Fragen aufgreift, die sich jede alleinerziehende, berufstätige Mutter irgendwann in ihrem Leben stellt: Was habe ich für mein Kind zu viel, nicht genug, falsch getan?
Offiziell ist Gary Johnson (herrlich spielfreudig: Glen Powell) Psychologie-Professor an der Universität von New Orleans und ermuntert seine Student:innen dazu, furchtlos und gefährlich zu leben. Diesem Ansatz folgt er selbst dann heimlich im Zweitjob. Dort nämlich arbeitet Gary als Fake-Killer für die Polizei, das heißt, er gibt sich verwanzt als Auftragskiller aus, und seine Auftraggeber werden nach Vertragsabschluss „weggeknastet“. Das talentierte Chamäleon schlüpft dabei in unterschiedlichste Rollen – und hat sichtlich Spaß daran. Bis ihm eines Tages Madison (Adria Arjona) gegenübersitzt und Gary auf ihren Gatten ansetzt. Nach kurzem Flirt zieht er den Job nicht etwa durch, sondern ermuntert Madison, das Geld zu behalten und ein neues Leben zu beginnen – der Beginn einer munteren Romanze, von der niemand wissen darf. Und bei der Blut fließt, weil jemand seinen Job nicht gemacht hat. Richard Linklater gelingt mit „A Killer Romance" ein vergnüglicher Krimi.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: Bahar Bektas' Dokumentarfilm „Exile Never Ends“, Juan Camilo Cruz' und Marc Wieses schonungslose Venezuela-Doku „Das Land der verlorenen Kinder“, Oliver Schwehms Musiker-Geschichte „Born to be Wild – Eine Band namens Steppenwolf“, Tig Notaros und Stephanie Allynnes Freundinnen-Komödie „Am I OK?“, Frédéric Telliers Biopic „Ein Leben für die Menschlichkeit – Abbé Pierre“ und Ti Wests Slasher-Finale „MaXXXine“.
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