„Des Teufels Bad“ ist ein alter Ausdruck für Melancholie und Depression. Davon ist Agnes zunehmend befallen. Als die lebensfrohe junge Frau im Jahr 1750 mit dem Bauern Wolf verheiratet wird, ahnt sie noch nichts von ihrem neuen Leben. Wolf wohnt mit seiner schroffen Mutter in einer kleinen, dunklen Steinhütte im Wald. Agnes hat sich um alle Wünsche ihres Gatten zu kümmern. Auch warten alle auf den Nachwuchs. Der will sich aber nicht einstellen. Wie auch, wenn der Mann sie nicht begehrt. Agnes wehrt sich eine Weile gegen dieses dunkle, karge, freudlose Leben, indem sie Blumen auf den Tisch stellt, den Klängen des Waldes lauscht oder am Moos riecht. Einmal klaut Agnes aus Verzweiflung ein Baby, dann beginnt sie, Rattengift zu schlucken. Doch als ob er das wüsste, betet der Pfarrer in der Kirche drohend auf sie herab: Selbstmord sei die größte Sünde überhaupt, für sie komme man ohne Gnade in die Hölle. Mördern hingegen könne die Beichte abgenommen werden und sie können dann in den Himmel aufsteigen. Selbstverständlich erst nach ihrer Hinrichtung. Für Agnes gibt es jetzt nur noch einen Ausweg... Das österreichische Regie-Duo Veronika Franz und Severin Fiala ist über einen Podcast auf das Thema dieses ‚mittelbaren‘ Selbstmords gestoßen, den zu jener Zeit vor allem Frauen in ihrer Not wählten. Des Teufels Bad, sagt Franz, ist nicht die Hölle nach dem Tod, sondern die Hölle im Inneren eines Menschen. Anja Plaschg spielt an der Seite von David Scheid als Mann und Maria Hofstätter als Schwiegermutter diese sich langsam in Agnes ausbreitende Hölle mit beunruhigender Intensität, die durch die eindringliche Filmmusik, ebenfalls von Plaschg, noch gesteigert wird. Schon die Eröffnung des neuen Films des Regiegespanns, das bereits mit ihren Arthaus-Schockern „Ich seh, Ich seh“ und „The Lodge“ für Aufregung sorgte, nimmt einem den Atem. Neben den Darsteller:innen und der Musik ziehen einen die erdigen Bilder von Kameramann Martin Gschlacht, die dem Film auf der Berlinale einen Silbernen Bären beschert haben, tief in die mittelalterlich anmutende Geschichte, die über Leistungsdruck und Burnout auch an die Gegenwart gekoppelt ist.
Ein verborgener Trakt liegt hinter den Zimmern des „Motel Destino“ an der nordbrasilianischen Küste. Der schmale Gang ist der Hauptschauplatz des Films, durch Luken lassen sich die Wünsche der Gäste erfüllen – wie im Krankenhaus blinkt eine Bedarfsleuchte auf –, aber es lässt sich auch kontrollieren, ob drinnen alles in Ordnung ist. Man kann auch klammheimlich dem triebhaften Geschehen in den Betten beiwohnen, wie es der in die Jahre gekommene Motelbetreiber Elias (Fábio Assunção) macht, als ungeladener Voyeur. Während die meisten Gäste nur stundenweise ins Motel Destino kommen, taucht der junge Heraldo (Iago Xavier) nach einem missglückten Banküberfall hier unter. Den Tag über bleibt er hinter den heruntergelassenen Jalousien, hält Ausschau nach seinen Verfolgern. Bald assistiert er Dayana (Nataly Rocha), der Frau des Hotelbetreibers, beim Aufräumen der Zimmer. Karim Aïnouz ist mit stillen und subtilen Filmen bekannt geworden, zuletzt war von ihm „Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão“ zu sehen. Die Atmosphäre von dort nimmt er in seinen neuen Film mit, lässt wieder die begnadete Kamerafrau Hélène Louvart physisch-körnige Bilder machen (gedreht wurde auf 35mm-Filmmaterial), ihre Kamera kriecht regelrecht in die unter der Hotelarbeit schwitzenden Körper von Heraldo und Dayana hinein. Zusätzlich tauchen die Bilder das Motel in leuchtende Farben: Die Zimmer versinken geradezu in dem gelben, roten und blauen Licht, das die Wandfarben und Leuchtstoffröhren ausstrahlen. Nichts ist hier pseudo- oder sozialrealistisch, das Motel ist mit dem Neon, das Aïnouz für seinen Tropical noir gewählt hat, betörend und spektakulär eingefärbt. „Motel Destino“ lässt sich wie ein Gemälde von Edward Hopper sehen: Der Zeitfluss ist angehalten, der Blick dringt bedächtig in das Innere eines auf vielen Ebenen explosiven Ortes ein. Wer sich auf den aufgeladenen Stillstand einlässt, wird mit allen Sinnen belohnt.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: die außergewöhnliche Japan-Doku „Johatsu – Die sich in Luft auflösen“ von Andreas Hartmann und Arata Mori, die nordische Komödie „Neuigkeiten aus Lappland“ von Miia Tervo, der preisgekrönte Dokumentarfilm „No Other Land“ von Basel Adra, Hamdan Ballal und Yuval Abraham, die französische Komödie „Frohes Fest – Weihnachten retten wir die Welt“ von Jeanne Gottesdiener und das Sandalen-Sequel „Gladiator II“ von Ridley Scott.
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