Es ist ein spannendes Gedankenexperiment, das Mark. St. Germain zur Grundlage seines Theaterstücks „Freud’s Last Session“ machte: Es ist verbürgt, dass der österreichische Arzt und Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud kurz vor seinem Tod im September 1939 einen Professor aus Oxford in seinem Londoner Exil empfing. Dass es sich dabei tatsächlich um C.S. Lewis (1898-1963) gehandelt haben könnte, der kurze Zeit später durch seine Bücher weltbekannt wurde (am nachhaltigsten in Erinnerung geblieben sind seine „Chroniken aus Narnia“), ist zwar lediglich Spekulation, eröffnet St. Germain aber eine wahre Fülle an möglichen Gesprächsthemen zwischen den beiden recht unterschiedlichen Intellektuellen. Matthew Brown („Die Poesie des Unendlichen“) hat zusammen mit Mark St. Germain ein Drehbuch aus dem Bühnenstück gezimmert und dieses nun stargespickt in Szene gesetzt. „Freud – Jenseits des Glaubens“ ist dabei Vergangenheitsbewältigung, Analysesitzung und Geschichtsfilm gleichermaßen. Professor C.S. Lewis (Matthew Goode) ist von Oxford nach London gereist, um sich mit Sigmund Freud (Sir Anthony Hopkins) zu treffen, der in der britischen Hauptstadt sein Exil gefunden hat. Der Zweite Weltkrieg hat sich gerade auch auf Großbritannien ausgeweitet. Ein Bombenalarm unterbricht das Gespräch zwischen den beiden hochgebildeten Männern ebenso wie die anhaltenden Schmerzen des Psychoanalytikers, der unheilbar an Mundkrebs erkrankt ist. Nicht nur wegen seines unmittelbar bevorstehenden Todes beginnt Freud, mit Lewis über den Glauben zu diskutieren. Freud ist Atheist, Lewis hingegen seit kurzem christlicher Apologet. Es ist ein intellektuelles Vergnügen, sich mit Hilfe von Mark St. Germains ausgeklügelten Dialogen in die Gedankenwelt dieser beiden recht gegensätzlichen Männer hineinzuversetzen, die mit ihren unterschiedlichen Ansichten nicht hinterm Berg halten und rasch in ein fruchtbares Streitgespräch verfallen.
Sandrine (Charlotte Gainsbourg) will sich von ihrem Ehemann Christophe (José Garcia) trennen. Sie hat es satt, dass Christophe nicht mehr am Familienleben teilnimmt, weil er ständig nur arbeitet, und wenn er mal da ist, den Superpapa und Macher raushängen lässt, ohne Taten folgen zu lassen. Als er erkennt, dass Sandrine es ernst meint mit der Trennung, schlägt er in seiner Verzweiflung einen Wochenendtrip für die ganze Familie zu all den wichtigen Orten gemeinsamer Erinnerungen vor. Wobei Vorschlag etwas untertrieben ist: Es ist eher seine übergriffige Erwartungshaltung und emotionale Erpressung, die die drei anderen dazu nötigt, bei dieser Reise in die eigene Vergangenheit mitzumachen. Florent Bernards Kinospielfilmdebüt „Es liegt an Dir, Chéri“ ist eine doppelte bis dreifache Überraschung, weil das Familiendrama als realistische Komödie erzählt wird. Die Leroys sind die gewöhnlichen Nachbarn von nebenan mit gewöhnlichen Jobs – sie arbeitet im Reisebüro, er vermietet Autos – und Kindern mit gewöhnlichen pubertären Krisen. Man ist von Szene zu Szene hin- und hergerissen zwischen Traurigkeit und dem nächsten Lacher, von denen es in der Komödie nicht allzu wenige gibt. Das liegt nicht nur an Drehbuch und Regie, sondern auch an den Darstellern – vorneweg die großartige Charlotte Gainsbourg zwischen Tragik und Komik.
Mit einer Fahrt durch das nächtliche Mumbai beginnt „All We Imagine as Light“. Im Chaos der überfüllten U-Bahnen und der sich drängenden Menschen schälen sich die Protagonistinnen von Payal Kapadias betörendem ersten Spielfilm, der in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, heraus. Zwischen Arbeit und Bett pendeln die Krankenschwestern Prabha (Kani Kusruti, ein Star des indischen Arthouse) und Anu (Divya Prabha). Fast immer ist es Nacht, die Zimmer sind spärlich beleuchtet, das Großstadtlabyrinth zeigt viele dunkle Winkel, in denen Anu mit ihrem Liebhaber einen ungestörten Platz sucht. Das kreiert eine Atmosphäre schwerer Emotionalität, in die man hineinsinkt wie in einen schlaflosen Fiebertraum. Und dann beginnt die B-Seite des Films. Als die verwitwete Bekannte Kaki resigniert das chaotische Mumbai verlässt, um zurück in ihre Heimat zu gehen, folgen ihr Prabha und Anu. Jetzt spielt der Film an den kleinen Bambushütten direkt am Strand, wo die Touristen bunte Getränke schlürfen. Das Licht bricht mit einem Mal in den Film hinein und auch eine Mystik, die die Schwere aufbricht und die Rätsel der Vergangenheit zu lösen scheint. „All We Imagine As Light“: Das ist der erfüllte Sehnsuchtshorizont der Imaginationen – und die Rückkehr der Menschen zu ihren Träumen, die von der Brandung des indischen Ozeans herangetragen werden.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: das bissige Drama „Eine Erklärung für alles“ von Gábor Reisz, das Animationssequel „Mufasa: Der König der Löwen“ von Barry Jenkins und die Familienstreit-Fortsetzung „Der Spitzname“ von Sönke Wortmann.
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