Das internationale Forschungs-, Ausstellungs- und Webprojekt „World of Matter“ beschäftigt sich mit Rohstoffen und deren komplexen Ökologien. Es wurde von einer Gruppe von KünstlerInnen, FotojournalistInnen und TheoretikerInnen initiiert, die sich vorgenommen haben, den öffentlichen Diskurs über Rohstoffe zu erweitern, insbesondere angesichts der privatisierten Natur des Abbaus globaler Ressourcen.Die Ausstellung erkundet ästhetische wie ethische Positionen im Umgang mit Ressourcen und stellt dabei die anthropozentrische Perspektive in Frage, welche Rohstoffe als vorrangig für den Menschen bestimmt betrachtet. Die Dortmunder Ausstellung wird im Anschluss auch in Partnerinstitutionen in New York, Montreal, Minneapolis und Stockholm zu sehen sein.
Kann man mit Zuckerskulpturen die Welt verändern?
Aus was die Kunst besteht, ist ja erst mal egal. Ich glaube nicht, dass man mit Kunst die Welt direkt verändern kann. Wenn man die Welt verändern will, muss man einfach anders handeln. Aber man kann die Voraussetzungen für eine Veränderung schaffen. Man kann Leute dazu bringen, die Welt anders wahrzunehmen. Das wäre dann eine Handlungsbasis für Veränderung. Es gibt einen langen Streit darüber, ich habe mich mit Artur Żmijewski, der hier auch kein Unbekannter ist,darüber gestritten. Der hat eine Berlin Biennale kuratiert, wo er immer nur den Aktivismus gezeigt hat. Aber eine Zuckerskulptur ist natürlich keine Form eines öffentlichen, aktivistischen oder wie auch immer gearteten Protestes. Ich denke, dass die Rolle der Kunst als Kunst aber nicht minder wichtig ist, da es um die Veränderung der Wahrnehmung geht und damit auch um einen Perspektivwechsel.
In Dortmund geht es um Rohstoffe und um neue Ansätze?
In der Ausstellung geht es weniger um neue Ansätze. Es geht darum, den Blick auf den Umgang mit Materie zu richten. Auf diesen ausbeuterischen Umgang mit ihr. Da ist es dann egal, ob es sich um Lebewesen oder um totes Material handelt. Überall ist ein extrem ausbeuterischer Umgang mit Materie. Das spannende an dem Projekt ist aber, dass da insofern ein Perspektivwechsel stattfindet, dass die Künstler hier nicht den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung stellen, sondern einen relativ pragmatischen Blick auf Veränderungen der Ökologien, Ökosysteme – immer im Plural – richten. Da geht es einmal um industrielle Fischerei, es geht um die Verlegung von Flüssen, es geht um Zuckerproduktion, es geht um Fracking, Abbau von Ölsanden in Kanada und wie sich das auf Menschen in Bangladesch auswirkt, die sich dann auf einmal Dämme bauen müssen, um sich vor dem Hochwasser zu schützen. Und es geht auch um die Frage, ob man der Natur ein Menschenrecht einräumen muss, soll, darf – müsste. Das ist ein Gedanke, der von Michel Serres kommt, einem französischen Philosophen, der schon 1990 ein Buch darüber geschrieben hat, „Der Naturvertrag“ heißt es auf Deutsch, wo er diese Idee formuliert. Interessanterweise gibt es da in Südamerika einen ersten Versuch, wo das vor Gericht verhandelt worden ist und da ging es um die Rechte des Urwalds.
Haben Rohstoffe alle eine unterschiedliche Qualität?
Sicher haben Rohstoffe alle eine unterschiedliche Qualität. Ich denke, Qualität und Quantität hängen da sehr eng miteinander zusammen. Weil die Qualität von Rohstoffen sich sicher darauf auswirkt, in was für einer Qualität man sie ausbeuten möchte.
Also Fische werden wichtiger als Gold?
Also ich denke, Gold ist nach wie vor wahnsinnig wichtig, allein schon durch die Verwendung in Mobiltelefonen. Man macht sich ja auch gar nicht bewusst, was bei unserer ach so körperlosen Kommunikationstechnologie für Materiemassen dranhängen. Fische werden wichtiger werden als Gold – ich glaube zumindest gewinnen sie extrem an Wert. Und das bezieht sich nicht nur auf Fische, das bezieht sich auch auf Boden. Bei den Fischen gibt es die Industriefischerei auf den Weltmeeren, die dazu führt, dass die Menschen, die eher privat vor irgendwelchen afrikanischen Küsten fischen, dann keine Fische mehr finden. Zum Stichwort Land und Boden: es gibt seit einigen Jahren in Afrika diese Riesen-Landpachtverträge durch indische und chinesische Unternehmer, die dort Flächen in der Größe von Frankreich pachten, um Reis anzubauen. Da geht es ganz klar um die Versorgung von indischen oder chinesischen Bürgerinnen und Bürgern. Es geht da um die Versorgungssicherheit in Bezug auf Lebensmittel.
Aber würde der neue Blick auf Rohstoffe auch dem Kohlearbeiter in Argentinien gefallen?
Ich glaube, es würde ihn durchaus interessieren, weil es in dem Projekt nicht darum geht, zu sagen, wir müssen mit dem Konsum aufhören, wir müssen unseren Verbrauch von Materialien, von Rohstoffen, radikal einstellen. Das schwingt sicherlich in allen Projekten mit. Und das ist wahrscheinlich auch bei vielen Leuten Konsens, dass man über kurz oder lang sein Leben radikal verändern muss. Die ganze Weltbevölkerung, vor allem natürlich die erste Welt, muss ihren Lebensstil radikal verändern, wenn das nicht alles ganz gewaltig den Bach runtergehen soll. Das sind Effekte, die für jedermann eigentlich sichtbar sind. Das heißt nicht, dass alle Künstler den argentinischen Bergarbeitern den Job wegnehmen wollen. Dass da Bedarf besteht, ist ja klar. Man muss sich nur überlegen, wie kann man das anders regeln oder was für Alternativen gibt es.
Also gibt es einen künstlerischen Finger der Ethik, der hinter dem Dokumentarischen steckt?
Auf jeden Fall. Es sind in der Tat alles sehr dokumentarische Ansätze. Wir haben auch nicht nur Künstler in der Ausstellung. Wir haben auch zwei Fotojournalisten: Uwe Martin und Frauke Huber. Die sind aus Hamburg, machen große Reportagen für Geo und stellen hier zum ersten Mal in einer Kunstausstellung aus. Sie arbeiten weltweit, auch über white gold, also Baumwolle. Martin fährt nach Kasachstan, er fährt nach Ohio, um sich dort anzuschauen, wie leben die Leute, die das auch vor Ort betreiben, was für Maschinen setzen sie ein. Das ist ein dokumentarischer Blick, der aber nicht mit Vorurteilen anfängt, sondern der eher einen Blick auf die Welt richtet, so wie sie eben gerade ist. Bei vielen anderen Arbeiten ist es eine Mischung aus Dokument und Fiktion, aber immer basierend auf einer Realität. Da ist ein sehr großes Interesse am Faktischen. Ein großes Interesse an der Welt.
Und wenn der Besucher die Ausstellung verlässt, möchte er gerne zurück zur Natur?
Ich glaube, ein Zurück-zur-Natur gibt es nicht. Das ist eine totale Utopie. Ich glaube, man muss zeitgemäße Lösungen finden für den Bedarf, der ja da ist. Und die Lösungen sind schon da. Sie müssen nur noch umgesetzt werden. Aber das ist eben gegen die großen Industrieinteressen.
„World of Matter – Über die globalen Ökologien von Rohstoff“ | 1.3.-22.6. | HMKV im Dortmunder U | Infos: 0231 496 64 20
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