Rund 25.000 Karten konnten im zweiten Jahr für die 78 Veranstaltungen jenes Festivals verkauft werden, das eigentlich eher „Lit.Essen“ heißen müsste – fanden (abgesehen von der „Lit.Kid.Ruhr“) doch nur acht von 43 Lesungen im Hauptprogramm nicht in der heimlichen Revierhauptstadt, sondern in Bochum, Gelsenkirchen, Mülheim und Oberhausen statt. Für ein volles Haus sorgte auch die Abschlussveranstaltung mit Starautor Frank Schätzing in der Essener Lichtburg mit rund 1250 Literaturinteressierten, denen im Zeichen des brandaktuellen Ringens um ethische Fragen auf dem Felde „Künstlicher Intelligenz“ (KI) eine spektakuläre Leseperformance geboten wurde. Unterlegt mit sphärischer Gitarrenmusik von Markus Reuter lieferte der über weite Strecken frei vortragende Autor eine Multikunst-Bühnenshow, bei der die Kinoleinwand im Hintergrund als Projektionsfläche für die weibliche Antagonistin des Erzählers genutzt wird.
Nachdem Schätzing bereits mit seinem apokalyptischen Öko-Thriller „Der Schwarm“ (2004) den Durchbruch als technologiekritischer Bestsellerautor geschafft hatte, konnte er im April mit „Die Tyrannei des Schmetterlings“ einen weiteren spektakulären Roman vorlegen, der inzwischen sein achter ist und es im Mai und Juni 2018 insgesamt fünf Wochen auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste schaffte. Die Tyrannis des computerdesignten Insekts ist nur ein Aspekt einer auf über 700 Buchseiten entfalteten, unkontrollierbar gewordenen Macht einer lernfähigen und ein eigenes Bewusstsein entwickelnden Maschine namens „Artificial Research and Exploration System“ – kurz: A.R.E.S.
Man stelle sich vor, in nur drei Jahrzehnten hätte ein solcher Megacomputer nicht nur die Kontrolle über die gesamte irdische Biosphäre übernommen, sondern könnte zudem massenhaft biokybernetische Waffen in Insektenform steuern und sogar die Zeit aus den Angeln heben… Fernlenkbare Drohnen, selbstfahrende Autos, Standortüberwachung per Smartphone und Gesichtserkennung sind allesamt Mosaiksteine auf dem Weg zu einer im „Big Data“-Rausch zur „KI“ zusammengeführten und schließlich den Menschen überflügelnden Computerinstanz, die einem Goethe‘schen Faust noch weit mehr das Fürchten lehren würde als der im zweiten Teil der Tragödie künstlich kreierte „Homunculus“. Denn „sobald Maschinen beginnen, bessere Versionen von sich selbst zu bauen, wird die Maschine zur Blackbox“ und „die Zukunft unvorhersehbar“.
Was mit der Utopie von „Mensch und Maschine in perfekter Harmonie“ beginnt, versinkt rasch im „Ozean der Möglichkeiten“, den die „gleißende Verdichtung von Wissen“ mit sich bringt. Somit verkehrt sich das Ideal einer „Abschaffung des Schlechten“ durch den Einsatz von KI in eine drohende Abschaffung der Menschheit, und das „Paradies“ erscheint als „perfekte Welt ohne uns“. Mit Frank Schätzings Lit.Ruhr-Ausklang schloss sich ein Kreis – gleichsam als dystopische Antwort auf Joschka Fischers blauäugigen Technologie-Optimismus: Forderte Fischer zum Auftakt nachdrücklich dazu auf, die KI-Forschung auch in Europa vehement zu forcieren, um sich auf diesem Sektor nicht von den USA sowie vor allem China abhängen zu lassen, trug Schätzing nachhaltig dazu bei, erstmal eine breite Debatte in Gang zu bringen, bevor vielleicht unumkehrbare Fakten geschaffen werden.
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