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Cornelia Funke auf der Lit.Ruhr
Foto: ©Ralf Juergens

Von den Bergwerken zum Mond

25. Oktober 2022

Matthias Brandt und Cornelia Funke auf Lit.Ruhr – Festival 10/22

Verheißungen der Dunkelheit

Für den Abstieg in die Dunkelheit sorgte Schauspieler (und Autor) Matthias Brandt gemeinsam mit dem genialischen Musiker Jens Thomas. Wenn die beiden sich E.T.A. Hoffmanns „Die Bergwerke zu Falun“ annehmen, dann ist dies zwar keine exklusive Lit.Ruhr-Produktion, dafür betritt hier ein bestens eingespieltes Duo die Bühne. Robert Blochs „Psycho“ haben sie ebenso bereits als Hörstück aufbereitet, mit „Raumpatrouille“ und „Blackbird“ aber auch das literarische Schaffen Brandts. „Die Bergwerke zu Falun“ ist das zurzeit meist gespielte Programm der beiden. Und hätte man sich ein besseres Umfeld für diese Erzählung wünschen können als das Areal des Weltkulturerbes Zollverein (außer vielleicht einen bösartig klaffenden Tagebau)?


Jens Thomas und Matthias Brandt, Foto: ©Ast/Juergens

So führt uns Brandts Stimme zunächst auf’s Meer, wo wir Elis Fröbom kennenlernen, der dem Rat eines geheimnisvollen alten Bergmanns folgt und den Beruf des Seefahrers gegen den des Bergarbeiters eintauscht. Die tragische Erzählung der Romantik mit ihren schimmernden Verheißungen in der Dunkelheit und der dräuenden Gefahren wäre schon als pure Lesung von Matthias Brandt ein Hörerlebnis, doch Jens Thomas hebt dieses Erlebnis mit seiner musikalischen Begleitung in höhere Sphären. Er beschränkt sein Klavierspiel nicht auf die weißen und schwarzen Tasten, sondern nutzt den aufgeklappten Flügel als Resonanzraum für seine Stimme und als Perkussionsinstrument, zupft und schlägt an den Klaviersaiten. Lesung und Musik gehen eine mitreißende Verbindung ein – und wenn Jens Thomas aus der untermalend-begleitenden Rolle heraustritt und sich erkennbare Songstrukturen herauskristallisieren und in eigenwillige Interpretationen von z.B. Neil Youngs „Heart of Gold“ münden, dann ist dies kein Bruch, sondern alles an dieser Kooperation wirkt wie aus einem Guss. Auch wer seinen E.T.A. Hoffmann kennt, fiebert bis zum tragischen Ende mit und die Standing Ovations zum Schluss sind mehr als verdient.

Die Kraft der Bilder

Einer absoluten Weltpremiere hingegen konnte das vornehmlich jüngere Publikum beiwohnen, das einen Tag später dem Ruf der Bestsellerautorin Cornelia Funke nach Zollverein folgte. Funke, selbst durchaus auch als Illustratorin gefeiert, hat für ihr neuestes Buch den Illustrator Mehrdad Zaeri gewinnen können. Weil „Ein Engel in der Nacht“ aber nur ein sehr schmales Büchlein, eigentlich nur eine poetische Kurzgeschichte ist, hat man sich für die Buchpremiere etwas Besonderes einfallen lassen: Während Funke die Geschichte liest, sitzt Zaeri vor der Bühne an einem Zeichentisch – und was er mit Stiften und Farben (und zwei Würfeln Zucker) zaubert, wird live auf die Leinwand übertragen. Es sind nicht die filigranen Illustrationen des Buches, sondern ganz bewusst sehr einfache Strichzeichnungen, für die sich Zaeri hier entscheidet, aber im Zusammenspiel mit Cornelia Funkes Stimme erwachen auch diese zum Leben. Weil die Geschichte schon nach wenigen Minuten gelesen ist, wechseln die beiden dann ihre Aufgaben: Zaeri zeichnet, und Funke versucht, inspiriert von diesen Zeichnungen, eine Geschichte zu erfinden. Ein Baum wächst aus einem Haus heraus: Was ist mit dem Dach geschehen und wie kann der Mann, der den Baum besuchen will, das Haus betreten? Und was hat der Mond damit zu tun? Es entspinnt sich eine etwas sprunghafte, bisweilen stockende Geschichte, die die jungen Besucher:innen jedoch zu fesseln vermag. Erst recht, als die beiden Vortragenden entscheiden, dass Cornelia Funke vor der Leinwand zum Bestandteil der Geschichte werden soll und – weil sie nicht mehr sehen kann, was hinter ihr und um sie herum auf der Leinwand geschieht – das Publikum zur Mithilfe auffordern. Das lassen sich die Kinder nicht zweimal sagen und es entspinnt sich ein wunderbarer Dialog zwischen Künstler, Autorin und Publikum. Das „Konzept“ der Veranstaltung ist ziemlich unausgegoren, inhaltlich zerfasert es immer mehr – aber die beiden charismatischen und sympathischen Künstler überspielen diesen fehlenden roten Faden souverän. Und als Merdad Zaeri von der Flucht seiner Eltern aus dem Iran erzählt, davon, wie ihm im fremden Land mit seiner fremden Sprache das Zeichnen geholfen hat, anzukommen und sich zu artikulieren, wird die Veranstaltung ganz unaufgeregt und ohne aufgesetzte Gesten zu einem Plädoyer für Menschlichkeit und Miteinander.

Frank Schorneck

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