Verheißungen der Dunkelheit
Für den Abstieg in die Dunkelheit sorgte Schauspieler (und Autor) Matthias Brandt gemeinsam mit dem genialischen Musiker Jens Thomas. Wenn die beiden sich E.T.A. Hoffmanns „Die Bergwerke zu Falun“ annehmen, dann ist dies zwar keine exklusive Lit.Ruhr-Produktion, dafür betritt hier ein bestens eingespieltes Duo die Bühne. Robert Blochs „Psycho“ haben sie ebenso bereits als Hörstück aufbereitet, mit „Raumpatrouille“ und „Blackbird“ aber auch das literarische Schaffen Brandts. „Die Bergwerke zu Falun“ ist das zurzeit meist gespielte Programm der beiden. Und hätte man sich ein besseres Umfeld für diese Erzählung wünschen können als das Areal des Weltkulturerbes Zollverein (außer vielleicht einen bösartig klaffenden Tagebau)?
So führt uns Brandts Stimme zunächst auf’s Meer, wo wir Elis Fröbom kennenlernen, der dem Rat eines geheimnisvollen alten Bergmanns folgt und den Beruf des Seefahrers gegen den des Bergarbeiters eintauscht. Die tragische Erzählung der Romantik mit ihren schimmernden Verheißungen in der Dunkelheit und der dräuenden Gefahren wäre schon als pure Lesung von Matthias Brandt ein Hörerlebnis, doch Jens Thomas hebt dieses Erlebnis mit seiner musikalischen Begleitung in höhere Sphären. Er beschränkt sein Klavierspiel nicht auf die weißen und schwarzen Tasten, sondern nutzt den aufgeklappten Flügel als Resonanzraum für seine Stimme und als Perkussionsinstrument, zupft und schlägt an den Klaviersaiten. Lesung und Musik gehen eine mitreißende Verbindung ein – und wenn Jens Thomas aus der untermalend-begleitenden Rolle heraustritt und sich erkennbare Songstrukturen herauskristallisieren und in eigenwillige Interpretationen von z.B. Neil Youngs „Heart of Gold“ münden, dann ist dies kein Bruch, sondern alles an dieser Kooperation wirkt wie aus einem Guss. Auch wer seinen E.T.A. Hoffmann kennt, fiebert bis zum tragischen Ende mit und die Standing Ovations zum Schluss sind mehr als verdient.
Die Kraft der Bilder
Einer absoluten Weltpremiere hingegen konnte das vornehmlich jüngere Publikum beiwohnen, das einen Tag später dem Ruf der Bestsellerautorin Cornelia Funke nach Zollverein folgte. Funke, selbst durchaus auch als Illustratorin gefeiert, hat für ihr neuestes Buch den Illustrator Mehrdad Zaeri gewinnen können. Weil „Ein Engel in der Nacht“ aber nur ein sehr schmales Büchlein, eigentlich nur eine poetische Kurzgeschichte ist, hat man sich für die Buchpremiere etwas Besonderes einfallen lassen: Während Funke die Geschichte liest, sitzt Zaeri vor der Bühne an einem Zeichentisch – und was er mit Stiften und Farben (und zwei Würfeln Zucker) zaubert, wird live auf die Leinwand übertragen. Es sind nicht die filigranen Illustrationen des Buches, sondern ganz bewusst sehr einfache Strichzeichnungen, für die sich Zaeri hier entscheidet, aber im Zusammenspiel mit Cornelia Funkes Stimme erwachen auch diese zum Leben. Weil die Geschichte schon nach wenigen Minuten gelesen ist, wechseln die beiden dann ihre Aufgaben: Zaeri zeichnet, und Funke versucht, inspiriert von diesen Zeichnungen, eine Geschichte zu erfinden. Ein Baum wächst aus einem Haus heraus: Was ist mit dem Dach geschehen und wie kann der Mann, der den Baum besuchen will, das Haus betreten? Und was hat der Mond damit zu tun? Es entspinnt sich eine etwas sprunghafte, bisweilen stockende Geschichte, die die jungen Besucher:innen jedoch zu fesseln vermag. Erst recht, als die beiden Vortragenden entscheiden, dass Cornelia Funke vor der Leinwand zum Bestandteil der Geschichte werden soll und – weil sie nicht mehr sehen kann, was hinter ihr und um sie herum auf der Leinwand geschieht – das Publikum zur Mithilfe auffordern. Das lassen sich die Kinder nicht zweimal sagen und es entspinnt sich ein wunderbarer Dialog zwischen Künstler, Autorin und Publikum. Das „Konzept“ der Veranstaltung ist ziemlich unausgegoren, inhaltlich zerfasert es immer mehr – aber die beiden charismatischen und sympathischen Künstler überspielen diesen fehlenden roten Faden souverän. Und als Merdad Zaeri von der Flucht seiner Eltern aus dem Iran erzählt, davon, wie ihm im fremden Land mit seiner fremden Sprache das Zeichnen geholfen hat, anzukommen und sich zu artikulieren, wird die Veranstaltung ganz unaufgeregt und ohne aufgesetzte Gesten zu einem Plädoyer für Menschlichkeit und Miteinander.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Sprachloser Aufbruch
Philosoph Wolfram Eilenberger auf der Lit.Ruhr – Literatur 10/24
Festival der Worte
Siebte Ausgabe der lit.Ruhr– Literatur 10/23
Scham und Bühne
Joachim Meyerhoff eröffnet furios die Lit.Ruhr – Festival 10/22
Lokalkolorit und Aufbruch
lit.Ruhr in Bochum, Essen, Gelsenkirchen und Oberhausen – Festival 10/22
Faustisches Lit.Ruhr-Finale
Mensch gegen Maschine: Frank Schätzing inszeniert am 14.10. KI-Bestseller – Literatur 10/18
Abstieg des Westens?
Ex-Außenminister Joschka Fischer belehrt auf Zollverein Lit.Ruhr-Publikum – Literatur 10/18
Am Strand von Bochum
lit.Ruhr 2018 – das Besondere 10/18
Kein Abklatsch
Die erste lit.Ruhr – das Besondere 09/17
Vorlesestunde mit Onkel Max
Max Goldt in den Kammerspielen Bochum – Literatur 01/25
Kampf den weißen Blättern
Zwischen (Auto-)Biografie und Zeitgeschichte – ComicKultur 12/24
Doppelte Enthüllung
„Sputnik“ von Nikita Afanasjew – Literatur 12/24
Eine wahre Liebesgeschichte
Thomas Strässles „Fluchtnovelle“ – Textwelten 12/24
Zwischen Utopie und Ökoterrorismus
Tagung „Klimafiktionen“ in Bochum – Literatur 12/24
ABC-Architektur
„Buchstabenhausen“ von Jonas Tjäder und Maja Knochenhauer – Vorlesung 11/24
Übergänge leicht gemacht
„Tschüss und Kuss“ von Barbara Weber-Eisenmann – Vorlesung 11/24
Das Über-Du
Auftakt von Literaturdistrikt mit Dietmar Dath und Wolfgang M. Schmitt – 11/24
Comics über Comics
Originelle neue Graphic Novels – ComicKultur 11/24
Auch Frauen können Helden sein
„Die Frauen jenseits des Flusses“ von Kristin Hannah – Literatur 11/24
Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24
Literatur in Höchstform
25. LesArt.Festival in Dortmund – Festival 11/24
Schaffenskraft und Schaffenskrise
20. Ausgabe des Festivals Literaturdistrikt in Essen – Festival 11/24
Zurück zum Ursprung
„Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen“ von Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger – Vorlesung 10/24
Nachricht aus der Zukunft
„Deadline für den Journalismus?“ von Frank Überall – Literatur 10/24
Eine Puppe auf Weltreise
„Post von Püppi – Eine Begegnung mit Franz Kafka“ von Bernadette Watts – Vorlesung 10/24