Babylonisches Sprachgewirr herrscht in der Welt und auch auf der Bühne des Essener Grillo-Theaters. Es macht viele Dinge komplizierter, als sie wohl sind. Auch deshalb durchzieht diese biblische Plage wohl Sebastian Nüblings Inszenierung von Alfred Jarrys surrealem Theaterstück „König Ubu“, in dem er die deutschen und niederländischen Schauspieler, das Projekt ist eine Koproduktion mit der Toneelgroep Amsterdam, auch englisch und ubuisch reden lässt.
Die Welt des feigen Vater Ubu ist die Kunst-Akademie. Hier wird zu Beginn das Paragrafenmalen zur heiligen Handlung. Diese weisen bereits auf den zweiten Teil des Abends, den Prozess gegen Ubu vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Der britische Autor Simon Stephens hat diesen Text als Auftragsarbeit entwickelt. Er zeigt, wie sinnlos der Versuch erscheint, Kriegsverbrechen, Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Namen der Menschlichkeit zu richten.
Doch zuerst bricht Ubu in den heiligen Hallen der Akademie aus dem stoischen Verrichten aus, wird von seiner Frau überredet, lieber die Königsfamilie zu ermorden, sich selbst zum Herrscher zu krönen. Sein Putsch unter dem Motto „Ick mak mik dick, richtik dick“ verwandelt das Atelier erst in eine blutige Farborgie, dann in ein Massengrab. Ein großartiger Nicola Mastroberardino als mehrsprachig sabbelnder sprachloser Ubu macht die erste Hälfte zum boshaften Vergnügen, lässt auch kleinere Längen im zweiten (Simon Stephens-) Teil vergessen. Eine großartige Frieda Pittoors als Ma Ubu hält die Balance zwischen Grauen und Parodie, ein Gleichgewicht, das sie auch als Richterin bei der Verhandlungsfarce am Schluss nicht verliert. Denn der „Sondergerichtshof für das ehemalige Polonien“ hat auch nach über einem Jahr noch kein Ergebnis geliefert. Die Paragrafen, mit denen man die Taten des Ubu dort fassen will, gelten wohl nicht für Tyrannei ohne Absicht oder Plan. Das gibt nach 140 Minuten viel zu denken.
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