Die Welt, in der Othello seinen Platz behaupten muss, ist klein, sie ist eine kleine weiße Kiste, in der sich Ungeheuerliches abspielt, in der die Mächtigen Venedigs genauso wie die Liebenden und Intriganten ihr Dasein fristen müssen. Manchmal brechen sie daraus hervor, doch dann scheint die Welt aus den Fugen zu geraten. Kein Wunder, Uli Greb inszeniert in Moers Shakespeares „Othello“ – mit einem weiblichen Dogen (Magdalene Artelt).
Und sein Othello ist ein richtiger Söldner, in abgegriffener Militärkluft (OK, die Hose ist fürs Moped), mit sonnenbebrillter Bühnen-Dominanz, einer, der weiß, wo es lang geht, weiß, was er tut, und die Konsequenzen kennt. Ein großartiger Werner Stenger spielt den Mohren von Venedig als mächtige Figur inmitten einer dekadenten Heuchlerschaft, die stets bemüht ist und doch den Hinterhalt als Lebensgrundlage gewählt hat. Und so liebt er auch seine Desdemona. „Wenn ich jetzt sterben müsste, ...“. Wild und ungestüm und doch irgendwie auch zärtlich. Dabei braucht Stenger keine schwarze Schminke, alle anderen versuchen, den ganzen Abend nur heller als er zu sein. Zehn Pommessalzstreuer voller weißem Puder werden seriell auf alle Protagonisten verteilt; wo sie gehen und stehen, müssen sie pudern und schnell noch etwas weißer sein als der hellhäutige Mohr.
Ansonsten ist die drei Stunden dauernde Inszenierung (merkt man gar nicht) vollgestopft mit originellen Seitenhieben auf die merkwürdige Gesellschaft damals. Jago, ein hinterhältiger Schleimer (Frank Wickermann), Cassio, ein moderater Beamter im weißen Rollkragenpulli (Matthias Heße), der anfangs schon als Desdemonas Vater die erste Blutorgie auf der Kiste zelebrierte. Und ein Rodrigo zum Wegschreien, Patrick Dollas wird von niemandem erkannt und immer wieder fortgeschickt. „Wer sind Sie denn?“ Aber er kommt auch mal als schrille Bianca wieder. Alles wird gnadenlos hypersexualisiert. Zum Niederknien. Dennoch funktioniert Jagos Intrige am Ende auch bei diesem großen General, der, von Eifersucht geblendet, seine zunehmend selbstbewusstere Desdemona (Marieke Kriegel) mit dem Messer schön langsam massakriert. Er scheint in der blumengeschmückten Kiste zu überleben. Viel Blut, viel Beifall, viel pralles Theater.
„Othello“ I Fr 4.10.19.30 Uhr I Schlosstheater Moers I 02841 883 41 10
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