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Foto: Birgit Hupfeld

Göttin mit Festnetzanschluss

01. Dezember 2010

„Iphigenie auf Tauris“ im Prinz Regent Theater - Theater Ruhr 12/10

Heraus in eure Schatten, rege Wipfel. Auf der Bühne des Bochumer Prinz Regent Theaters rezitieren die Schauspieler Goethes Texte, in der letzten Reihe flimmern nebenan die Handys, rezitieren die Schüler ihre Kürzel. Aber sie schauen interessiert zu, wenn Iphigenie unten auf Tauris in Blankversen ausrastet, wenn sie selbst Kontakt mit der Göttin aufnimmt – mit einem goldenen Spielzeugtelefon. Diana hat wohl einen Festnetzanschluss. Es geht in grellen Bildern weiter. Katrin Schmieg, die ein wenig aussieht wie aus einem uralten Olivia Newton John-Video entsprungen, hat einfach keinen Bock mehr auf den Job als Tempelpriesterin. Sie will so schnell wie möglich Hause, wenn es sein muss, auch per Anhalter. Und das meint sie später einmal wörtlich mit Militär-Rucksack und erhobenem Daumen. Wer sollte zu Trojas Zeiten da bloß kommen?

Doch erst einmal tritt der abgedrehte, offensichtlich homophile Arkas, Bote und Freund des Königs, an sie heran, buhlt um sie im Namen des Inselherrschers. Doch Iphigenie lehnt empört ab. Tilman Meyn, der in der Inszenierung der jungen Regisseurin Ronny Schmidt alle Männerrollen spielt, muss sich nun sputen: abgehen im Fummel, Treppe raufrennen, hinterm Geländer herkriechen und dann als Big Spender King im Pelzkragen-Mantel die Treppe neben den Sitzreihen wieder runter. Da ist die Schulklasse echt beeindruckt, das Mädchen nebenan steckt sogar das Handy weg – für zwei Minuten.

Und das war das bemerkenswerteste Kompliment, das man als junger Theatergänger dieser ausgezeichneten „Iphigenie auf Tauris“-Inszenierung wohl machen konnte, in der Ronny Schmidt mit spielwütigen Schauspielern auch Comicelemente in Video und Handpuppe verschmolz. Absolut klasse, einen Batman/Joker-Dialog mit Orest an der richtigen Stelle einzubauen, selbst Comedy-Merkwürdiges wie der Schlachtruf „Athen, Athen, wir fahren nach Athen“ im blauweißen Fußballschal ließ sich da ertragen. Zum Schluss beichtet Iphigenie dem König unter Tränen und schafft so das bekannte Ende, über das die Kids nun wieder dicke Referate schreiben müssen. Nach dieser Aufführung dürfte ihnen das kaum schwerfallen. Ob sich echte Goethesche Blankversliebhaber unter den OberstudienrätInnen auch wohlgefühlt haben, wage ich zu bezweifeln. Dank dafür.

PETER ORTMANN

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