Er ist kein Bayer, er ist Franke, und er pflegt auf der Bühne seinen Dialekt. Ob Kabarett drei Tage vor der Bundestagswahl noch etwas in Castrop-Rauxel bewirken kann? Diese Frage wird er nicht beantworten können und wollen. Urban Priol ist ein Mittvierziger mit Mercedes-Oldtimer im täglichen Dialog mit dem Widerspruch in sich selbst, den früh am Morgen schon die Hauptsorge quält: "Oh Gott, die Putzfrau kommt gleich!"
Auf der Bühne heißt es lieber Auf geht‘s! – Jetzt wird angespuckt und in die Hände gepackt. Seit die große Koalition mit Siebenmeilenstiefeln ihre kleinen Schritte durch unser Land pflügt, schwappt ein Tsunami der Zuversicht durch die Republik. Unter dem Motto "Leiden halbieren, Lachen verdoppeln!" nimmt er sein Publikum dann mit auf seinen Sturzflug durch den Lifestyle- und Lovestyle-Looping des täglichen Irrsinns. „Anschnallen, auf geht‘s – Tür zu!“ – so das aktuelle Programm. Tagesaktuell wühlt sich der Lästerfranke mit wilder Haarpracht, buntem Hemd und dem obligatorischen Weißbier (alkoholfrei) durch Absurdes, Wahnsinniges und Unglaubliches abseits der Sprechblasenkultur von Christiane Zumbimsen und Johannes B. Beckmann. "Mehr Freiheit! Mehr Freiheit!" tschilpt unsere Volkskanzlerin dazwischen und blickt uns dabei so drohend an, als wolle sie dem Volk im nächsten Augenblick die Bauklötzchen wegnehmen, sollten wir so frei sein, nicht alle neue Freiheiten, die uns die Große Koalition verspricht, im Freudentaumel anzunehmen: frei zu sein von staatlicher Fürsorge, Nestwärme und dem Recht auf günstigen Zahnersatz. Der Staat sourcet sich aus und wird zum eigenen Outlet. Ja, der Urban weiß, wovon er redet, schließlich steht er schon sein ganzes Leben auf der Kabarettbühne, richtige Arbeit sei das, behauptet er und kann vor Auftritten immer noch schlecht schlafen.
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