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"Die unsichtbare Hand"
Christian Nielinger

Koloraturen der Banker

28. Februar 2011

"Die unsichtbare Hand" am Schlosstheater Moers - Theater Ruhr 03/11

Die Krise ist vorbei und alle warten auf ihr Eintreffen. Das Moerser Theater macht sich einen polemischen Gedanken zur Lage, indem es die übliche Bankerlyrik mit einer Formulierung von Adam Smith in Bezug setzt. In seinem Buch „Der Wohlstand der Nationen“ hatte der Begründer der Nationalökonomie „die unsichtbare Hand“ als selbstregulierenden Mechanismus beschrieben, der die Unterschiede zwischen ökonomischen und sozialen Ansprüchen, zwischen Eigennutz und Gemeinwohl austariert. Die Finanzkrise wirft die Frage auf, wie es um die durchgreifende Wirkung der „unsichtbaren Hand“ heute eigentlich bestellt ist.

In den vier Ecken der Theaterhalle in Moers ist jeweils ein Zelt aus rotem Samt auf-gebaut. Wie die Feldherren schreiten die Alphatiere auf einem Wegekreuz in die Mitte des Raumes, bereit zur Schlacht um den willigen Aktionär. Man trägt Grau und ist doch irgendwie derangiert, falsche geknöpfte Hose hier, zu hohe Absätze dort. Die Sätze sind durchweg O-Töne aus dem Mund von Bank-Leitwölfen wie Josef, Ackermann, Lloyd Blankfein, Richard Fuld oder Henry Paulson.

Es fliegen ein paar Wurstscheiben ins Publikum: Krumen vom Tisch des Großkapitals. Eine Darstellerin befragt flüsternd aufgehängte weiße Hemden mit Krawatte. Ein wütender Investmentbanker fühlt sich während der Krise von seinen Mitmenschen behandelt wie ein Pädophiler. Dann werden die Koloraturen der leitenden Damen und Herren plötzlich martialisch: Vom Herz ausreißen oder vom Zerquetschen des Rivalen ist die Rede. „Und was sagt die unsichtbare Hand dazu“, lautet plötzlich die Frage. Alle blicken auf den Boden, doch nichts tut sich. Dafür wird die Krise als Naturkatastrophe behauptet, die die Schauspieler herumwirbelt samt ihren Umzugskartons. Eine Darstellerin muss nach der Krise mit dem Bohrer operiert werden, die Scheiße eines Bankers wird von allen gemeinsam verspeist und ans Publikum verteilt.

Der Moerser Abend ist nicht frei von Hilflosigkeit. Die Kunst singt die Arien der Finanzwirtschaft nach und zeigt mit ausgestrecktem Finger auf deren Oberflächlichkeit und Lügen, überbietet sie mit Drastik oder Sarkasmus – und kommt ihr trotzdem nicht wirklich bei. Natürlich ist ein Satz wie „Die soziale Verantwortung der Bank ist es, Gewinne zu maximieren“ eine Idiotie.

Die „ökonomische Geisterbeschwörung“, wie der Abend im Untertitel heißt, geht aber gerade nicht auf die Fiktionalität des finanzkapitalistischen Handelns, wie sie der Literaturwissenschaftler Joseph Vogl kürzlich analysiert hat, ein. Wo alles auf Erwartungen und virtuellen Werten basiert, kann von einer Rationalität der Ökonomie nicht die Rede sein. Am Ende berichtet ein Mann vom Besuch bei Prostituierten und verschaltet ihn mit Abkürzungen für Finanzprodukte. Josef Ackermann darf sich als Gipfelstürmer und Extremsportler beweisen. Schließlich singt Reverend Billy und seine „Church of Life after Shopping“ sein Hohelied auf den Konsumverzicht–als Glaubensinhalt. Jeder beschwört eben die Geister, die ihm am genehmsten erscheinen.

Hans-Christoph Zimmermann

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