Eine dunkle, verwickelte Handlung. Eine Vielzahl an Figuren, die zum Verwechseln ähnlich scheinen und doch jede für sich ernstgenommen werden will. Eine altmodische, komplizierte Sprache – Wie kann man aus dem sperrigen Roman „Krabat“, den Otfried Preußler vor fast 50 Jahren veröffentlich hat, ein kurzweiliges Kindertheaterstück kreieren? Wie streicht man dessen Handlung, die von einer geduldigen Länge lebt, auf eine kindgerechte zusammen? Das freie Theater-Ensemble „TOBOSO“ hat sich dieser Herausforderung gestellt und dabei nicht die Konsumierbarkeit, sondern den Charakter des Textes als Ausgangspunkt für ihre Inszenierung genommen.
Das rustikale Bühnenbild aus Europaletten und groben Holzlatten steht in der Mitte des Bühnenraumes im Maschinenhaus. Das Publikum sitzt auf vier Tribünen an den Ecken. Die DarstellerInnen, ebenfalls zu viert, schleichen sich zu Beginn aus der Dunkelheit flüsternd auf die Bühne. Sie tragen identische Kostüme aus viel Wolle und zerrissenem Denim. Das Kostümbild erzählt in wenigen Augenblicken das, was das Bühnenbild schon andeutet – noch bevor der erste Satz gesprochen wurde: In dieser Geschichte wird es ungemütlich und arbeitsreich. Hier gibt es weder Rückzugsorte noch Platz für Individualität. Das Publikum ab 12 Jahren muss genau aufpassen, denn: Wer ist wer? Alle DarstellerInnen spielen mehrere Figuren, geschickte Details in den Kostümen lassen zu diesem Zweck minimale Veränderungen zu (eine Wollmütze wird z. B. zur Augenklappe).
Nur Krabat (Moritz Fleiter) bleibt durchgängig Krabat in dieser kruden Geschichte, die auf einer alten sorbischen Sage basiert: Der Waisenjunge beginnt eine Lehre in einer Mühle, wo bereits elf andere Lehrlinge arbeiten. Doch der Meister unterrichtet sie nicht nur im Müllerhandwerk, sondern auch in schwarzer Magie. Krabat erlernt sowohl das eine als auch das andere begeistert, bis ihm dämmert, dass der Meister nicht nur das Wohl seiner Lehrlinge im Sinn hat. Einmal im Jahr schickt der Meister nämlich einen von ihnen statt seiner in den Tod. Als Krabat sich in ein junges Mädchen aus dem Dorf verliebt, versucht er der Macht des Meisters unter Einsatz seines eigenen Lebens zu entkommen.
90 Minuten spielt „TOBOSO“ seine Version, also deutlich länger als ein Kindertheaterstück in der Regel dauert. Im Roman benötigt Krabat zwei Jahreszyklen, um den Machenschaften des Meisters auf die Spur zu kommen, und so wird das im Maschinenhaus auch durchexerziert. Außerdem findet ein kompliziertes „Stück im Stück“ seinen Weg auf die Bühne, in dem der Meister eine Begebenheit aus seinem Leben erzählt. Um die Handlung zu verstehen, braucht es diese Genauigkeit vielleicht nicht, durchaus aber, um den Charakter des Materials zu wahren. Genauso verhält es sich mit der so gar nicht heutigen Sprache. „Wer viel fragt, der viel irrt“ oder „Warum fliehst du mich?“ sind nur zwei Beispiele dafür, wie dem jungen Publikum der Roman explizit nicht mundgerecht gemacht wird. Die Anordnung der Tribünen dient der besseren Verständlichkeit, denn sie macht eine direkte Ansprache möglich: Immer wieder durchbricht die Aufmerksamkeit des Ensembles die vierte Wand. Es nutzt die Möglichkeit, seine Texte an eine kleine Gruppe im Publikum zu adressieren, ohne aus der Rolle zu fallen.
Das Bühnenbild ist Spielfläche, Percussionsinstrument und offen für jede Assoziation. Die Handlung wird teilweise gespielt und teilweise nacherzählt. Die Phantasie des Publikums muss ordentlich arbeiten, um eigene Bilder entstehen zu lassen. Zwischen all der Düsternis gibt es auch immer wieder Momente, in denen gelacht werden darf, etwa wenn Krabat seine ersten magischen Fähigkeiten ausprobiert oder wenn die Lehrlinge einmal im Jahr feiern und tanzen.
Das Stück endet hoffnungsvoll, das Ensemble geht nach draußen ab. Direkt ins Freie, ins Licht. Mit der Botschaft: Einfach nur weiterleben ist nicht genug. Es lohnt sich, etwas zu riskieren.
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