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Das Gewehr als Drogenbesteck. Gleich hängt der Schreiber an den Kugeln (Johann David Talinski, Tom Gerber, Statisterie)
Foto: Birgit Hupfeld

Kugeln bis zum Exzess

22. Dezember 2011

Reinhardt Friese inszeniert in Essen das Drogenspektakel „The Black Rider“ von William S. Burroughs, Tom Waits und Robert Wilson – Theater Ruhr 01/12

In den Wäldern seufzen die Bäume, in Essen seufzen die Schreiber, die Jäger, die Erbförster. Reinhardt Friese darf in Essen „The Black Rider“ inszenieren, das broadwayerprobte Musical von William S. Burroughs, Tom Waits und Robert Wilson. Für den furiosen Ritt durch die von Teufeln bewohnte Schattenwelt hat Friese nicht nur wie das amerikanische Dreigestirn die olle Freischütz-Sage aus J. A. Apels „Gespensterbuch” (1810) adaptiert, sondern auch die bereits 1730 gedruckten „Unterredungen von dem Reiche der Geister“, die auf tatsächlichen Gerichtsakten der böhmischen Stadt Domazlice verweisen. Dort wird der Fall des jungen Schreibers Georg Schmid dokumentiert, der aus Geldgier Freikugeln gegossen haben soll.

Eine ziemlich dunkle Bühne mit Pool hat Günter Hellweg ins Grillo gebaut, in dem auch der Orchestergraben gern und häufig bespielt wird. Hier treiben Jäger, Teufel und Hexen ihr Unwesen, hier verliebt sich der sensible Amtsschreiber Wilhelm (Johann David Talinski) in die junge Försterstochter Käthchen (Laura Kiehne). Erbförster Bertram und seine Frau favorisieren eher den kernigen Jägersburschen Robert als Zukünftigen. Denn wenn man schon in die Erbförsterei einheiraten will, sollte man wenigstens schießen können. Da hapert es bei Wilhelm gewaltig. Der Teufel (Tom Gerber mit Tom Waits-Timbre) intoniert schon mal den Titelsong vom Black Rider, denn ohne Freikugeln wird das wohl nix beim hageren Federkiel. Friese findet schaurigschöne Bilder in der Düsternis, stete Tanz-Choreografie von Monika Stahler und der Statisterie (als Bäume, Tiere des Waldes und Hexen) untermalt die Szenen und die doch ziemlich gut studierten Gesangspartien. Ein besonderes Lob muss den Kostümen von Annette Mahlendorf gezollt werden, eine wunderbare Mischung aus derben Materialien und ungewöhnlichen Ensembles, insbesondere die Statisterie wurde grandios eingekleidet. Die Band überzeugt in gleicher Weise. So wird es nie langweilig mit schnellem 75 Minuten visualisierten Jägerlatein, das erst bei den Proben für die Uraufführung am Hamburger Thalia Theater entstanden ist. William S. Burroughs Texte will Friese eher als Materialsammlung denn als fertiges Stück verstanden wissen, was der Regie denn auch ziemlich freie Hand lässt.

Während der Wilderer im Rhönrad durch den Wald turnt, zeigt Stelzfuß, Pegleg der Teufel, dem Wilhelm die Macht der freien Kugeln. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten, der Amtsschreiber wird zum Großwildjäger, der dem Wald die Tiere entvölkert und damit zum besessenen Scharfschützen mutiert. Nichts ist mehr vor ihm sicher, Wilhelm wird zum Gewehrjunkie in einem Regen aus Tischtennis-Kugeln, schnitzt Käthchen ein rotes Neon-Herz in den alten Baumstumpf, während er das süße Liebeslied „I’ll shoot the Moon“ säuselt.

Doch die dunklen Wolken sind schon am Himmel. Auch der skurril in einem gläsernen Sarg mit Jägermeister-Motiv vom Himmel herabschwebende Ur-Erbförster Kuno kann das Unheil mit mahnenden Worten nicht mehr aufhalten. „Tu was du willst“ ist sein doppeldeutiger Wahlspruch. Wilhelm will den berühmten Probeschuss, Wilhelm will Käthchen, Wilhelm will mehr Kugeln – und sei es bis zum Goldenen Schuss. „The Black Rider“ offenbart seinen Subtext, es geht in Wirklichkeit um die Abhängigkeit, um Sucht im Allgemeinen. Und wie das so ist, verliert der Junkie die Realität aus dem Blick, die Pelzmäntel-Hirsche (!) stehen irgendwann wieder auf, die Knarre schießt, wohin sie will, nur nicht ins Ziel. Katerstimmung vor dem Probeschuss. Stelzfuß kann helfen, mit neugegossenen Kugeldrogen. Also Totenschädel her, Kerzen im Kreis, in der Mitte badet ein nachdenkliches Käthchen im Pool. Dann geht alles ziemlich schnell, es knallt, und über das Brautkleid fließen Ströme aus Blut vom Video-Projektor. Anders als in den romantischen Adaptionen gibt’s in der Drogenallegorie kein Happy End, die Jungfer stirbt, das Ensemble singt, das Licht geht aus. Erst mal eine rauchen.

PETER ORTMANN

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