Wenn das Management einer Band bei der Tournee-Planung auf einen EM-Spieltag der deutschen Fußball-Nationalmannschaft keine Rücksicht nimmt, kann das unterschiedliche Ursachen haben. Vielleicht hat man nie an die Versprechungen eines neuen Sommermärchens geglaubt – oder aber man war sich sicher, dass die Fans der Band den Ball Ball sein lassen, wenn LaBrassBanda endlich mal wieder im Ruhrgebiet live zu sehen sind. Die Rechnung geht auf: Das schrottig-gemütliche Open-Air-Gelände des Dortmunder Junkyard ist gut gefüllt, es gibt zwar grundsätzlich noch Karten an der Abendkasse, aber viele können das nicht mehr sein. Fußball-Enthusiasten mögen kurz nachgerechnet haben, ob ein Konzertbeginn um 19 Uhr vielleicht noch ausreicht, um zwei Stunden später irgendwo noch das Spiel zu sehen, doch als klar wird, dass es einen Support gibt, haben sich alle Kalkulationen erübrigt. Passepartout sind eine Hip-Hop-Band aus Hannover, was nur auf dem Papier unpassend klingt für das Vorprogramm einer bayerischen Brass-Polka-Kombo. Passepartout bieten Saxophon, Trompete und – man höre und staune – eine Querflöte auf, um ihre Reimschlachten unkonventionell zu instrumentieren. Da mischen sich Hip Hop, Jazz, Klassik und ein Hauch Jethro Tull zu einem groovigen Gesamtsound, der die Menge schnell mitreißt und der auch für Ohren, die nicht unbedingt in dem Genre zuhause sind, interessante Ansätze bietet.
Die Lizenz, scheiße zu tanzen
Doch wie man ein Publikum so richtig in Ekstase bläst, zeigen dann ab kurz vor 20 Uhr die Jungs von LaBrassBanda. Wie immer in Lederhosen und barfuß entern sie die Bühne und fackeln nicht lange. Ja, auch LaBrassBanda haben ein Schlagzeug und einen Bass, aber für den typischen Druck, der den Sound so besonders macht, sorgt hier in erster Linie die Tuba, die wuchtig nach vorne geht. Auch wenn das Outfit weißblaue Folklore zitiert, brauchen sich die verschiedenen Bläser nicht vor energiegeladenem Balkan-Beat zu verstecken. Das treibende „Autobahn“ zeigt schon bei den ersten Songs, wo der Hase nicht läuft, sondern hektisch hoppelt. Stilistisch lassen sich LaBrassBanda nicht greifen. Da kommt mal Funk zum Tragen, mal südamerikanische Weltmusikeinflüsse, mal Alpen-Techno oder sogar Reggae. Im Vordergrund bei all dem steht der Spaß, den vor allem Frontmann Stefan Dettl in den roten Backen hat. Seine Ansagen klingen für die Ohren des kultiviert Hochdeutsch parlierenden Ruhrgebietlers bisweilen befremdlich, aber Dettl gibt sich hier große Mühe bei der Verständlichkeit. Die Lyrics der Songs hingegen sind für das ungeübte Ohr schwerer verständlich, erst Recht, wenn der Gesang stakkatomäßig daherkommt. Als wichtigste Botschaft an alle, die noch nie bei einem LaBrassBanda-Konzert waren, verkündet Dettl gleich zu Beginn die Regel „Es ist vollkommen egal, ob Ihr scheiße tanzt oder wie das aussieht – habt Spaß dabei!“ (auf ein phonetisch korrektes Zitat wird an dieser Stelle verzichtet) Und er lässt dazu selbstironisch seinen eigenen „Weißbierspoiler“ kreisen.
Yoga im Biergarten
Dettls Anmoderationen von Songs sind eine Kategorie für sich. Mit teils ausufernden Anekdoten gibt er dem Publikum und der Band Zeit zum Luftholen. Da ist die vielen sicherlich schon bekannte Geschichte vom Roskilde-Auftritt, als die Bayern zeitgleich mit Oasis vor anfangs fast leerem Zelt auftraten – aber auch Geschichten darüber, wie man mit originellen Auslegungen von Corona-Regeln ein Massenpublikum finden konnte. Wenn Yoga erlaubt ist, schreibt man halt eine „Yoga Symphonie“, und als „Biergarten an getrennten Tischen mit 30 Minuten Hintergrundmusik bei freiem Eintritt“ möglich ist, reißen sich die Jungs die krachledernen Hintern auf und spielen unzählige Biergartengigs (die natürlich keine „Konzerte“ sein dürfen) und erreichen so Zehntausende. „Es gab zwar kein Geld, aber jede Menge Bier“, stellt Dettl die Prioritäten bei dieser kreativen Auslegung von Corona-Beschränkungen klar. Der Spaßfaktor ist auch an diesem Abend auf jeden Fall spürbar. Die Männer hüpfen und toben über die Bühne und das Publikum lässt sich anstecken. Dettl lobt die Security vor Ort: „Was denkt man sich als Security, wenn man gebucht wird für etwas, das sich vielleicht als bayerische Polka-Blaskapelle umschreiben lässt? Aber lasst euch nicht täuschen: Das Publikum sieht nur so harmlos aus…“. Die vom Aussehen her härtere Gangarten gewohnten Sicherheitsleute nehmen sich den Hinweis durchaus zu Herzen und haben ein wachsames Auge auf das fröhliche Getümmel, das zwar nicht zum Wall of Death ausartet, aber auf dem staubigen Schotterplatz dennoch nicht ohne Tücken ist.
Gnade für die Gitarre
Vorbei ist übrigens die Zeit, als LaBrassBanda voller Stolz eine durchgestrichene Gitarre auf Tourshirts drucken ließen: Erst 2022 haben die Bayern den Österreicher Julian Buschberger in ihre Reihen aufgenommen, einen jungen Gitarrenvirtuosen, der u.a. mehrfach mit Nigel Kennedy auf Tour war. Es ist nun nicht so, dass eine Gitarre früher gefehlt hätte, aber so ein amtliches Gitarrensolo bringt auch noch eine Rock-Komponente in die wilde musikalische Stilmischung. Das Publikum stimmt begeistert in „Ujemama“ oder „Bauer, Bauer!“ ein, „Bierzelt“ wird ebenso gefeiert wie „Nackert“, der Song, mit dem Deutschland 2013 vielleicht den ESC hätte gewinnen können, wenn das Juryvoting beim Vorentscheid nicht so viel weniger Musikverstand bewiesen hätte als das Publikum. Zum Abschluss holen LaBrassBanda noch einmal die Mitglieder des Support-Acts Passepartout auf die Bühne und zeigen große Wertschätzung für die Newcomer: „Wenn Ihr am Merch was kaufen wollt, dann kauft was von denen, die jungen Bands brauchen Unterstützung!“ Können die Musiker wirklich so nett sein, wie sie auf der Bühne daherkommen? Das Dortmunder Publikum jedenfalls haben sie im Sturm erobert. LaBrassBanda sollten sich nicht bis zur nächsten EM Zeit lassen, um ins Ruhrgebiet zurückzukommen.
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