Er hatte das Glück nicht immer auf seiner Seite: Als 2001 sein genial-verschrobener Roman „Morbus Fonticuli“ von den ersten Feuilletons euphorisch begrüßt wurde, meldete nahezu zeitgleich sein Verleger Konkurs an, und es fehlte nicht nur an Werbung, sondern auch an funktionierenden Vertriebsstrukturen, um das Buch an die Leser zu bringen. Was für so manche Schriftstellerkarriere einen tiefen Einschnitt, wenn nicht das Aus bedeutet hätte, brachte Frank Schulz zu einem großen Publikumsverlag. Eichborn Berlin (seit 2009 als Galiani Berlin unter dem Dach von Kiepenheuer & Witsch) zeigte den richtigen Riecher, und die Taschenbuchausgaben seiner früheren Werke sind bei Rowohlt auch nicht schlecht aufgehoben…
2012 wagte sich Schulz auf das Terrain des Krimis – ein sehr glattes Eis, gibt es doch in der Krimileserschaft etliche Puristen, für die Abschweifungen von der reinen Story als überflüssiges Beiwerk gelten. Und Abschweifungen sind charakteristisch für das Schulz‘sche Schaffen – nicht ohne Grund wird Laurence Sterne zuweilen in einem Atemzug mit Schulz genannt. Sein Ermittler (man mag dieses Wort beinahe nur mit Anführungsstrichen benutzen) Onno Viets entspricht so gar keinem Krimiklischee. Der phlegmatische Nichtskönner (außer mit Noppensocken an der Tischtennisplatte) schlurft eher durch seinen ersten Fall hindurch, während um ihn herum durchaus blutige Action brodelt. „Mein Ideal war, einen Ton zu finden, der sich mischt zwischen ‚Fargo‘ von den Coen-Brüdern und ‚Twin Peaks‘ von David Lynch“, schilderte Schulz seine Ambitionen damals.
In Zungen reden
Schulz ist die Krimihandlung beileibe nicht egal, doch sein Augenmerk gilt der Sprache. Kein anderer Autor kann ihm in Punkto Sprachgefühl das Wasser reichen. So wird Schulz gerne als Erbe Arno Schmidts gehandelt, hinter dessen Lautmalereien und Zettelkästen weit mehr Humor steckt als mancher beim Anblick von „Zettel‘s Traum“ ehrfurchtsvoll erstarrte Leser glauben mag. Der Schulz‘sche Humor kommt weniger verschlüsselt daher, zeichnet sich dennoch durch große Finesse aus. Seine Figuren sind im wahrsten Sinne des Wortes Charaktere, die bis in kleinste Eigenheiten durchdacht sind. Da sind Dialekte und Soziolekte erst die Vorstufe einer wirklich lebensnahen Dialogführung. Seine Protagonisten pflegen sprachliche Marotten, äußern immer wiederkehrende Lieblingswörter und, ja, -Laute.
Dies macht auch eine Lesung von Frank Schulz zu einem Erlebnis. Dabei ist er keine Rampensau, wirkt eher zurückhaltend auf der Bühne – bis seine Protagonisten aus ihm zu sprechen beginnen. Dann redet er in Stimmen und der Autor tritt hinter seinen Figuren zurück.
Sein zweiter Fall verspricht Privatdetektiv Onno Viets eigentlich ein gehöriges Maß Entspannung – gilt es doch lediglich, den von mannigfaltigen Ängsten geplagten Donald Maria Jochimsen auf einer Kreuzfahrt zu begleiten. Jener Jochimsen, zu dessen Schwächen eine ausgeprägte „Viktimophobie“ (Angst, Opfer einer Gewalttat zu werden) zählt, will auf dieser Reise einer Sängerin und Tänzerin von FLIP Cruises den Hof machen, die er bislang nur per Mail und SMS kannte. Für Onno, der seit dem blutigen Drama aus Band eins an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, die Gelegenheit, auszuspannen und gleichzeitig die klammen Finanzen aufzubessern.
Arche-Typen
Wie Schulz im Gespräch erklärt – und wie der aufmerksame Leser in Andeutungen erkennen kann – schließt diese Kreuzfahrtgeschichte zeitlich nicht unmittelbar an den ersten Band an. Als Schulz jedoch mit dem zweiten Onno-Abenteuer mit dem Arbeitstitel „Onno Viets und der weiße Hirsch“ nicht so recht weiterkam, beschloss er, sich zunächst einer anderen Onno-Geschichte zu widmen. Die Story selbst war ihm zu dem Zeitpunkt schon klar, nur noch nicht, wo er sie ansiedeln würde: „Irgendwann kam mir dann die Idee mit dem Schiff, die durch die Einheit von Zeit und Ort sehr genau meinen Vorstellungen entsprach. Ich finde das Sujet aber auch metaphorisch interessant: In Zeiten, in denen der Meeresspiegel steigt, steigen auch die Fahrgastzahlen von Kreuzfahrten unaufhörlich. Das hat etwas Arche-haftes.“ Zu Recherchezwecken hat Schulz dann tatsächlich an einer Kreuzfahrt teilgenommen. Gemeinsam mit dem befreundeten Reisejournalisten Jan Jepsen hat er sich an TUI gewandt und dabei gleich mit offenen Karten gespielt: „Ich habe denen gesagt, dass ich einen Roman auf einem AIDA-Schiff spielen lassen will und dass eine der Figuren das alles toll finden wird, die andere aber sehr deutlich Scheiße. Als erste Reaktion kam dann auch eine verständliche Ablehnung, aber nach ein paar Tagen hatten die dann doch entschieden, das Projekt zu sponsern. Erst viel später, beim Sortieren meiner Ablage, ist mir aufgefallen, dass ich in einem Interview zum ersten Onno Viets Roman mal mit dem Gedanken gespielt habe, Onno auf eine Kreuzfahrt zu schicken.“
David Foster Wallaces „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ hat Schulz selbstverständlich gelesen: „Das ist ja ein Standardwerk zum Thema. Ich habe aber auch alle möglichen Zeitungsschnipsel und Meldungen über Kreuzfahrten gesammelt.“ Da wundert es nicht, dass Schulz aus dem Stehgreif Passagierzahlen parat hat und auch sonst tief in die Mentalität eingetaucht ist, die Menschen dazu bringt, den Urlaub in einer schwimmenden Stadt zu verbringen. „Die Leute wollen aufs Schiff. Man ist unterwegs mit allen Bequemlichkeiten und der Zerstreuung eines Cluburlaubs.“
Heimat-Revier
Unterwegs ist Schulz nun auch wieder, auf Lesereise. Am 19. März führt ihn die Tour in die Bochumer Rotunde – auf Einladung des Literaturmagazins Macondo. Zu Bochum hat er eine besondere Beziehung: Als er 1992 gemeinsam mit Harry Rowohlt in Essen zum Thema „Durst“ gelesen hat, war dies bereits von Bochum aus organisiert. „Harry hatte ich kurz vorher kennengelernt. Er hatte schon von seiner ‚Westkurve‘, seinen Fans aus dem Ruhrgebiet geschwärmt.“ Kein Wunder, dass der Abend schließlich gemeinsam mit den damals noch nicht zerstrittenen Tresenlesern Frank Goosen und Jochen Malmsheimer im Bochumer Paddys endete – jedenfalls endet an diesem Ort die Erinnerung…
Danach führte Schulz der Weg immer wieder nach Bochum: „Ich erinnere mich an etliche Bahnfahrten gemeinsam mit Harry, stets mit dickem Kopf – zumindest auf der Rückfahrt…“ – Dabei sind zu den Lesungsterminen zahlreiche private gekommen, auch Silvester hat Schulz schon in Bochum gefeiert, „auf dieser Riesenmüllhalde“, wie er den Tippelsberg fälschlicherweise in Erinnerung behalten hat.
Schulz, der bekennende Liebhaber jeglicher regionaler, sozialer oder sonstwie auffälliger Sprachfärbung, hegt große Sympathie für die hiesige Mundart: „Vor vielen Jahren hat mir Jochen Malmsheimer mal das Ruhrgebietswörterbuch „Hömma“ geschenkt, das hat einen festen Platz auf meinem Schreibtisch bei den Nachschlagewerken. Wenn ich für eine Geschichte eine Figur bräuchte, die Pottslang sprechen würde, dann bekäme ich das hin – nicht zuletzt, weil ich ja zahlreiche fachkundige Korrekturleser hinter mir wüsste. Das geht auch über das rein Sprachliche hinaus: Ich glaube schon, dass zwischen den Norddeutschen und Ruhrgebietlern eine große Harmonie herrscht. Die Mentalität, die manchmal auch raue Offenheit ähnelt sich. Ohne mich jetzt einschleimen zu wollen: Beim Gedanken an das Revier wird mir durchaus warm ums Herz.“
Und in Bochum kann er sich auch wieder eines herzlichen Empfangs sicher sein.
Frank Schulz: „Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen“ | Galiani Berlin | 19,99 €
Lesung in der Rotunde Bochum | 19.3. 20 Uhr
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