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Land der unbegrenzten Klischees

26. Mai 2011

Jan Klata dramatisiert Kafkas „Amerika“-Roman am Bochumer Schauspielhaus - Theater Ruhr 06/11

„Jetzt erst begriff Karl Rossmann die Größe Amerikas“ - der Held in Kafkas Romanfragment „Amerika“ hat nach einer langen Odyssee durch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten Zuflucht beim Naturtheater Oklahoma gefunden. Im Bochumer Schauspielhaus öffnet sich die Bühne in ihrer ganzen Tiefe und Dimitrij Schad als Rossmann steht staunend vor einer riesigen sich drehenden Scheibe mit Andeutungen von Kontinenten. Die Welt ist eine Scheibe, deren wahre Dimensionen erst in einem Theaterraum erkennbar werden.

Amerika, das ist in Bochum kein Raum der Erfahrung, sondern zu allererst ein zweidimensionaler Imaginationsraum, der mit allen möglichen ideologiegetränkten Artefakten zugestellt ist. Seite für Seite klappen gemalte Szenenbilder herunter, in denen Möbel als Pappen aufgestellt werden. Ein knallbuntes Bilderbuch voller Klischees und Kitsch und voller Figuren, die einem Comic entsprungen sein könnten. Schon als Rossmann auf dem Schiff nach Amerika den splitternackten Heizer verteidigt, muss er sich mit einer Riege behelmter Footballspieler an der Reling auseinandersetzen. Bei seinem Onkel, der die Sportmontur gar nicht erst ablegt, nutzt man das Kontor für Schießübungen und macht den Fortschritt zum Mantra. So unbegrenzt die Möglichkeiten des Landes sein mögen, bei Regisseur Jan Klata lässt dieses Amerika nur einen begrenzten Vorrat an Fantasie zu. Alles ist hier bereits Zitat. Die Körper laufen auf Hochtouren, bewegen sich synchron oder kippen einfach weg. Mechanik und Geschwindigkeit, die durch noch treibende Popsongs unterstützt werden, erzählen zwar von Zwängen einer kapitalistischen Biopolitik; im Vordergrund steht jedoch die Lust am Slapstick, wenn in bester Stummfilmmanier Szenenbilder wie Hausfronten über Dimitrij Schad herunterklappen.

Slapstick, Football, Schusswaffen, Kapitalismus – Rossmanns Amerika ist ein „Best of all“ der medialen Bilder, die sich im kollektiven Gedächtnis abgelagert haben. Völlig grotesk und in seiner Monotonie langweilig gerät dann der Aufenthalt im Hotel Oriental. Rossmann hat eine Anstellung als Liftboy gefunden und gerät in eine dieser bedrohlichen bürokratischen Mechanismen, weswegen Gilles Deleuze und Félix Guattari einmal von der „Hotelmaschine“ sprachen. In Bochum wird daraus ein altägyptisches Themenhotel, in dem die Bediensteten Lendenschurz tragen, sich in Reliefmanier bewegen und hitzige Dialoge führen. Doch die Überhöhung ins Absurde klingt plötzlich mehr nach kulturkonservativer Mäkelei als nach den von Kafka beschriebenen hierarchischen Zwängen. Die beiden Loser Robinson und Delamarche, denen sich Rossmann zeitweise anschließt, entpuppen sich dann als white trash vor gemaltem Wohnwagen samt Drag-Queen Brunelda, die röchelnde Madonnas „Like a virgin“ daherschluchzt. Kafka, der nie in Amerika war, mag sich dieses Land zusammenimaginiert haben, seinem Roman kommt die Billigversion dieser Strategie allerdings nicht bei.

„Amerika“ nach einem Romanfragment von Franz Kafka I R: Jan Klata
Schauspielhaus Bochum I Mi 1.6., Mi 18.6., Mi. 25.6. je 19.30 Uhr I 0234 33 33 55 55

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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