Morphogenetische Felder beherrschen unerkannt den Planeten. Jede Zelle ist unsichtbar mit der anderen verbunden, das gilt auch für Samen, Wassertropfen oder Schmetterlinge, die laut Chaostheorie in Brasilien einen Sturm in Europa auslösen können. Wen wundert es, dass in Philipp Löhles „Das Ding“ alles zwar beim affektierten portugiesischen König (Janning Kahnert) und dem ergrauten Eroberer Magellan (Tim Grobe) beginnt. Dieser will eine Abkürzung nach Asien entdeckt haben, doch der Monarch winkt ab. Fernão de Magelhães wechselt den Auftraggeber, und die Geschichte nimmt eine neue Wendung. Das Globalisierungs-Stück von Löhle auch.
Denn jetzt wandern nicht spanische Schiffe, sondern es reist ein Ding um die Welt. Fünf Schauspieler und ein Karton reichen dafür bei der Uraufführungsinszenierung des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen aus. Sie erzählen unter der Regie von Jan Philipp Gloger, wie das Ding (hier sei bereits verraten: ein Baumwollsaatkorn) in Afrika gepflückt, in China aufbereitet und zu einem Fußballtrikot verarbeitet wird. Es gehört dem hoffnungsvollen Fußballer Patrick Dräger (Martin Wißner), der wegen einer Unfall-Verletzung, bei der seine Schwester Julia starb, nicht in die Bundesliga kommt, dafür aber unfreiwillig zum weltweit gehypten Fotografen wird, weil er das leere Zimmer seiner Schwester fotografiert hat und damit zum Star des überkandidelten Kunstmarkts wird, von einem stupiden Interview zum anderen gereicht wird. Sein Trikot macht dabei Karriere im Internet. Seine andere Schwester Katrin benutzt es nämlich für Online-Sexvorführungen, lockt damit einen Chinesen nach Europa, der vor Eifersucht ein Loch ins T-Shirt schießt, das daraufhin wieder als Kleiderspende in Afrika landet.
Der Plot ist nicht ganz einfach, Gloger lässt alle Personen von den fünf Schauspielern darstellen. Dass es sich im Kern der Handlung um die Baumwollsaat handelt, die da um den Globus reist, erfährt der Zuschauer erst ziemlich spät. Sei es drum, die Abhandlung des Autors ist nett, unterhaltsam, mehr aber auch nicht. Im Grunde genommen wird die Globalisierung mehr belächelt als bekämpft, und die Fakten zwischen Koi-Wahnsinn, Spaß-Entwicklungshilfe und Schweinefleisch-Terror, die sollten aufgeklärte Theatergänger längst verinnerlicht haben, auch die ökonomischen Mechanismen des Internets. Die kleine Baumwollsaat geht in diesem Überbau verloren wie die Stückintention selbst, die einfach zu viel will. Dafür kann die gelungene Inszenierung, die in Recklinghausen in einem kleinen Theaterzelt stattfand, nichts. Aber die wurde in der vergleichsweise riesigen Mülheimer Stadthalle ja auch nicht bewertet.
Allerdings versprüht „Das Ding“ eine milde Komik, was wohl auch dazu führte, dass das Stück den Publikumspreis bei den diesjährigen „Stücken“ in Mülheim gewinnt. Mit Peter Handke, dem Preisträger des Mülheimer Dramatikerpreis 2012, kann Löhle bei weitem nicht mithalten. Bei Handke reist niemand weg vom österreichischen Jaunfeld, und doch wandern die Zuschauer im Kopf durch ein Stück privater Weltgeschichte.
Ein Rückblick: Rund 2.500 Zuschauer sahen bei den „Stücken 2012“ sechs Inszenierungen in elf Vorstellungen, von denen acht ausverkauft waren. Das entspricht einer großartigen Auslastung von über 95 Prozent. Die acht Vorstellungen der „KinderStücke 2012“ wurden von mehr als 900 Zuschauern gesehen. Mit dem zum dritten Mal vergebenen, mit 10.000 Euro dotierten Mülheimer KinderStückePreis wurde Jens Raschke für sein Stück „Schlafen Fische?“ ausgezeichnet. Einziger Wermutstropfen: René Polleschs „Kill your Darlings! Streets of Berladelphia” musste abgesagt werden.
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