Manchmal ist Poetry Slam eine Synthese aus Lyrik und Fremdschämen. Etwa dann, wenn die KünstlerInnen auf der Bühne einen expressionistischen Stil mit exhibitionistischer Seelen-Diarrhoe verwechseln. Oder wenn sich Comedy-Vorträge auf einem Niveau einpendeln, das Atze Schröder oder Mario Barth wie intellektuelle Satiriker erscheinen lässt.
So etwa in Jan Schmidts Text mit dem kreativen Titel „Fußball“. Der Slammer performt darin den Kommentar zu einem Spiel. Schweden spielt gegen Brasilien. Soweit so gut. Im schwedischen Team heißen – bis auf Ibrahimovic – alle Olson oder Svenson, bei Brasilien alle Paulinho oder Gustavinho. Keine Pointe, aber es wird gnadenlos strapaziert. Am Ende ist endlich Spielabbruch. Literarische Kostprobe? „Adolfinho verschwindet niedergeschlagen in der Dusche.“
Oder ein anderer Flop an diesem Abend: Sven Hensel lässt sein lyrisches Ich Verse für die Angebetete in den Saal des Schauspielhauses hecheln: „Gib mir eine Füllung für die Pralinen, damit ich weiß, was ich kriege und nicht neben Forrest Gump auf der Bank sitzen muss.“ Kalorienreiche und schwer verdauliche Dichtung. Irgendwo zwischen Montagsdemo-Elegie und Helene-Fischer-Poesie. In einem Finale darf man sicher mehr erwarten.
Dabei war der Abend die Kür der NRW-SlammerInnen: Ausverkauftes Schauspielhaus, Live-Übertragung im WDR und das Moderatoren-Duo Sebastian 23 und Jason Bartsch schlüpfte sogar in feierliche Garderobe. Echte Event-Stimmung in der Endrunde des modernen Dichterwettstreits. Und überzeugende Texte gab es durchaus. Fatima Talalini trug Coming-of-Age Erfahrungen über Konformität, Leistungsdruck und Ideologie vor. „Ich bin mit drei Religionen aufgewachsen: Mit dem Islam, dem Christentum und dem Kapitalismus.“ Nah am Leben und eine kritische Absage an vorgegebene Wege. „Erst ein Hund, dann Kinder und dann wird alles gut“, heißt es polemisch im Beitrag der Dortmunderin.
Tom Schildhauer überzeugte mit einer Satire über Nazis. Dabei geht es in seinem Text vordergründig um Maschinen. „Ich habe nichts gegen Technik. Aber die Maschinen nehmen uns die Arbeit weg“, so der ehemalige Slam-Landesmeister aus Sachsen. „Patriotische Europäer gegen die Zukunft des Abendlandes, vereinigt Euch.“
Dann war da natürlich noch Henrike Klehr, die Siegerin des Abends und damit neue NRW-Landesmeisterin. Im Finalbeitrag spricht ihr lyrisches Ich dem demenzkranken Vater Mut zu. „Solange du weitermachst, bist du nicht die Krankheit, sondern der gerade Gang.“ Mutig, intensiv und eine klare Sprache – die verdiente Siegerin des Abends. Auch wenn sie noch im ersten Text Zoten vortrug über das Party- und Liebesleben. Erst wurde gefickt, dann gestrickt. „Der Strick meines Lebens. Nach neun Monaten gebäre ich einen Schal.“
Das überbietet nur noch Johannes Floehr mit seinen finalen Versen: „In den Flitterwochen poppte er sie ordentlich durch. Ja, das war Liebe.“ Deftig-derbe Simpel-Comedy-Unterhaltung. Ist das albern? Post-pubertär? Man kann es so sehen: Der Slam ist erwachsen geworden. Ein echter Event-Charakter. Oder wie Tom Schildhauer am Ende seines eigenen Finalbeitrags hinterfragt: „Was soll uns dieser Text sagen? Nichts! Fröhnt dem Unfug.“
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