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Ein Bärtierchen im All
Foto: Julia Steffen

Wenn ich groß bin, werde ich Fisch

14. Dezember 2016

„Biodiversity Science Slam“ am 12.12. im Bochumer Blue Square – spezial 12/16

Was können wir aus dem Tierreich lernen? Warum ist biologische Vielfalt wichtig? Und wieso muss es gar nicht öde sein, sich mit solchen Themen wissenschaftlich zu beschäftigen? Zwölf Studierende des Masterstudiengangs Biodiversität der Universitätsallianz Ruhr ergründen diese und andere Fragestellungen beim Science Slam im Bochumer Blue Square.

Die Idee zum Slam stammt von Prof. Dr. Dominik Begerow (Ruhr Universität Bochum) und Prof. Dr. Jens Boenigk (Universität Duisburg Essen), die den Studiengang ins Leben gerufen haben. Das Veranstaltungsplakat (Design: Felix Schramm) kündet sogleich vom genreübergreifenden Format der Veranstaltung: zwei durch Pipette und Mikrofon über Kreuz verbundene Hirnhälften symbolisieren die fruchtbare Allianz naturwissenschaftlicher Forschung und kreativer Präsentationsweisen. Passend, denn Biodiversität heißt ja auch: Vielfalt zwischen den Arten, Vielfalt innerhalb von Arten und Vielfalt der Ökosysteme. Dann doch auch Vielfalt der Sprachen.

Wie bunt und wichtig diese Vielfalt ist und dass es trotz aller Unterschiede auch überraschende Parallelen zwischen Mensch und Tier geben kann, zeigen die Slamvorträge auf amüsante Weise. Moderiert wird der Slam von Tanja Schwanck und Tom Maus, die sich trotz gelegentlicher Technikprobleme als Sprecherteam souverän ergänzen. Dass sich dieses Mann-Frau-Dings im Tierreich hingegen manchmal kurios gestalten kann, zeigt Olivier Ruiz in seiner bildreichen Eröffnung „Geiler als Sex – Ameisensex“. Wir erfahren, dass sich Ameisenmännchen gegenseitig köpfen und tagelang vor der Brutstätte noch ungeschlüpfter Weibchen ausharren, um sie als erster zu begatten oder noch vor dem Schlüpfen zu besteigen, damit die Jungameisen quasi „schwanger“ zu Welt kommen. Charmant, charmant.

Im nächsten Slambeitrag, „Heidewitzka“, zeigt Malin Conrad, dass es ohne hungrige Schafe keine Heidelandschaften gäbe, die heute die Lebensgrundlage für viele vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten sind. Was durch Zufall entstanden ist, muss heute durch komplexe und sorgfältige Pflege erhalten werden, denn stirbt die Heide, sterben auch die an die Heide angepassten Tiere. Nicht so witzig, aber interessant, wie sich Diversität in beide Richtungen entwickeln kann.

Katzen in Kisten

Mit „Katzen und Kisten“ liefert Guido Sieber dann eine gleichermaßen fundierte, wie katzenliebhaberherzerwärmende Untersuchung zur Frage, warum Katzen Kisten lieben: weil sie es a) lieben, aus dem Hinterhalt anzugreifen, b) weil sie asoziale, äh, nicht-soziale Wesen sind, die sich lieber vor ihren Problemen verstecken, statt sich ihnen zu stellen und c) weil sie eine spezifische thermoneutrale Zone haben. Sprich: leichter frieren, zumindest, wenn sie sich gerade nicht in einer Kiste befinden. Kann man doch eigentlich alles nachvollziehen, auch so aus Menschensicht. Für ihren Slam „Einheit und Vielfalt“ hat Sarah Taudien dann eine Tanzperformance vorbereitet, mit der sie den monopolistischen Wahnsinn von Konzernen parodiert, die Patente auf Saatgut anmelden. Hier geht es auch um einen fatalen Trend zur „genetischen Einfalt“ auf Kosten der Vielfalt, der Kleinbauern und der „vielfältig“ wirtschaftenden Landwirte.

Auf andere Weise beunruhigend ist Jerome Broß' Präsentation zur sogenannten „Bambi-Verschwörung“, die entlarvt, dass Bambi in der literarischen Vorlage von Felix Salten tatsächlich von einem deutschen Reh verkörpert und in der amerikanischen Disneyadaption kurzerhand zum WeißwedelHIRSCH umoperiert wurde. Dabei war der arme Salten doch vom zweiten Weltkrieg ohnehin schon so verwirrt, dass er nur noch über unschuldige Tierchen schreiben wollte. Und dann macht man ihm auch noch das Reh zum Hirsch.

Traurig, aber apropos verwirrt: Wer kennt noch Nemo, den hyperaktiven Clownfisch mit Fernweh nebst seiner an Amnesie leidenden Palettendoktorfisch-Freundin Dorie? Melina Krautwursts Forschungsbeitrag „Saure Meere – verwirrte Fische“ liefert endlich eine plausible Erklärung für Nemos und Dories desolate Psyche. Durch sauren Regen nimmt das Meerwasser CO² auf, der ph-Wert im Meer sinkt und die olfaktorischen Sensoren der Fische werden empfindlich gestört. Folge: Ein Clownfisch, der ansonsten nie seine heimischen Anemonen verlassen, geschweige denn ins offene Meer hinausschwimmen würde, verlässt verhaltensgestört sein Heimatriff. Gut, auch hier war Disney zumindest am Vertrieb beteiligt, da muss man kritisch bleiben.

Krasse Tiere und paarungswillige Akademikersingles

Herzerwärmend ist das von Juliane Baumann vorgestellte „Bärtierchen“, das „krasseste Tier der Welt“, das aussieht wie ein Staubsaugerbeutel und das wirklich ziemlich krass ist, weil es Kryptobiose kann: Ein todesähnlicher Zustand, in dem es jahrzehntelang überlebensfeindliche Umweltbedingungen überdauern und sich danach sogar noch fortpflanzen kann – ein wertvoller Skill in der heutigen Zeit. Laut Präsentation kann es auch in avantgardistischen Rapvideos auftreten. Aber für einen endgültigen Nachweis sind eventuell weitere Belegquellen erforderlich.

Nicht immer lassen sich intelligente Strategien aus dem Tierreich einfach auf die Menschheit übertragen. Magnus Wolf untersuchte auf Costa Rica Bienenvölker, die mit einem selbstproduzierten „Bienen-Parfüm“ Potenz und Paarungsbereitschaft signalisieren um damit willige Weibchen anzulocken. Wieder in der Heimat angekommen testete Magnus, ob sich die Parfümstrategie auf die Bedürfnisse paarungswilliger Akademikersingles übertragen ließe, leider erfolglos. Fazit: In der Natur gibt es keine einfachen Lösungen. Sie ist eben divers.

Darauf folgt ein weiteres Fischli, Blobfisch, das wohl hässlichste Tier der Welt mit fotografisch belegter Donald Trump-Ähnlichkeit. Und dann wieder der Clownfish, viel hübscher als Blobby, und laut Slamreferent Simon Blümel kann er sogar sein Geschlecht wechseln. Das kann nicht mal das Bärtierchen und wir schon gar nicht, jedenfalls nicht auf natürlichem Weg. Gala Dädlow schlägt mit „Dem Waschbären an den Kragen“ ernstere Töne an. In der EU-Verordnung zum Schutz der Biodiversität zählt der total rücksichtslose und übergriffige Waschbär zu den zu bekämpfenden invasiven Arten, obwohl der Mensch schuld ist an seiner Ausbreitung. Man mag ihn nicht, aber er kann nichts dafür, der Waschbär. Im Blue-Square-Publikum brummt es ambivalent.

Zum Schluss wird’s dann doch noch mal schmutzig. Christopher Hempel slamreferiert über geldgeile Kapuzineräffchen, Winkakrabben mit enorm großen Sch....eren und Adéliepinguinweibchen, die sich für Steine prostituieren. Sandra Kammann schließt ab mit einer „Geschichte über pummelige Meerjungfrauen und schwimmende Kühe“ und der Vermutung, dass das, was man früher für Meerjungfrauen gehalten hat, in Wahrheit Seekühe waren. Plausibel deswegen, weil im Frauenbild zu Seefahrerzeiten die Figur der Seekuh als erstrebenswertes Ideal galt. Tragisch heutzutage, weil Seekühe nicht nur dick, sondern auch langsam sind und daher sehr anfällig für Kollisionen mit Bootsmotoren. Zum Schutz der Tiere gibt es Speedlimits, Hilfsorganisationen kümmern sich gezielt um verletzte Tiere. Wenn man weiter auf den Schutz achtet, kann die Art erhalten werden. Gut so, diese Welt braucht Meerjungfrauen.

Ein hübscher Slam und ein intelligenter, komödiantischer und leichtfüßiger Blick darauf, was biologische Vielfalt eigentlich bedeuten kann. Darauf, dass ihr Erhalt jetzt und in Zukunft auch ein ernstes Thema ist und dass Sprachen gefunden werden sollten, die nicht nur akademisch sind, sondern sich an ein Publikum richten, das was verändern kann. Denn, um noch mal Slammerin Melina zu zitieren: „Wir können nur schützen, was wir verstehen.“ Blubb.

Rebecca Westkott

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