Kann man das Licht des Todes erblicken? Oder ist das eine Geburt ins Leben, das die Hölle sein wird? Drei Gestalten in zart getönter Kleidung (Kostüm: Kerstin Feuerhelm) kauern im Raum. Die Gesichter sind verklebt mit weißem Mull. Maulwürfe ihres eigenen Lebens, die sich allmählich aus ihrer Bewusstlosigkeit herauswühlen. Mühsam pellen sie den Verband von ihren Augen und blicken in das gleißende Neonlicht der Hölle. Das Aufschlagen der Augen und der Blick des anderen wird zur Geburt. „Sein ist wahrgenommen werden“, heißt es schon bei dem Philosophen Berkeley. Doch wir sind nicht bei den Empiristen, sondern bei den Existenzialisten. Frederick Krieger setzt an den Beginn seiner Inszenierung von Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ am Bochumer Schauspielhaus ein beeindruckendes Bild. Es wird das einzige bleiben an diesem so kurzen wie unterkomplexen und langweiligen Abend.
Sartres Stück entspringt einer philosophischen Konstruktion. Er sperrt zwei Frauen und einen Mann in einen Raum, aus dem es kein Entkommen gibt. Estelle hat ihr Kind getötet, die lesbische Inès eine Frau ihrer Ehe entfremdet und sich mit ihr umgebracht; Garcin wiederum hat als Pazifist jämmerlich versagt. Ihr Leben ist gelebt und damit unveränderbar, und sie bleiben auch im Tod dafür verantwortlich, sind aber – „Die Hölle, das sind die anderen“ – auf den Mitmenschen als Spiegel der Selbsterkenntnis mitangewiesen. Sie sind aufeinander angewiesen und begehren sich zugleich. Bei Frederick Krieger, der als Regieassistent in Bochum arbeitet und damit seine erste Inszenierung vorstellt, bleibt von Sartre nicht allzu viel übrig. Sein Figurentrio hat sein Leben nicht gelebt und verzweifelt an diesem Wissen, ist orientierungslos auf der Suche. Hilflos turnt es durch Amelie Neblichs zwar eindrückliches, aber wenig spieltaugliches „Eismeer“-Bühnenbild aus weißen, dreieckigen Sockeln. Matthias Eberles Garcin changiert zwischen der Pose des Weltretters, gestöhnten Urlauten, „Männer und Bier“-Gebrüll und verzweifelten Geständnissen. Männliches Posenmaterial – das Wenigste davon steht bei Sartre, von dessen Stück sowieso nur ein Steinbruch der berühmten Stellen übrigbleibt. Der Rest sind Zeitgeistthemen und Alltagsgeplapper.
Die Inès der Johanna Eiworth gibt die Sprachspielerin, spult ein absurdes Selbstbeschreibungsregister herunter, inszeniert kindliche Sockenspiele, kann aber auch brüllen. Vor allem an dieser Figur wird deutlich, wie wahllos die Regie im Baumarkt der Inszenierungsmittel eingekauft hat: Warteschleifen der Wortwiederholung stehen neben französischem Geplauder oder dem repräsentationskritisch wiederholten Mordversuch. Simin Sorayas Estelle schließlich ist von einer enthobenen Zögerlichkeit, sie flüchtet in Ballettposen im Beleuchtungsgestänge und darf Sartres „Blick“-Text rezitieren. Doch dessen philosophisches Endspiel, das Bezüge zu Selbstbildkontrollmanie der digitalen Medien zulässt, versandet hier in Inszenierungsmätzchen und Wohngemeinschaftstalk. Als Metapher für die Hölle ist das zu wenig.
„Geschlossene Gesellschaft“ | R: Frederick Krieger | 25.2., 25.3. 19.30 Uhr, 16.3. 19 Uhr | Schauspielhaus Bochum | 0234 33 33 55 55
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