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Die dreigeteilte Jungfrau tritt erst einmal gesichtslos aus dem Schatten der Geschichte
Foto: Annette Hauschild

Schöne Bescherung vom Hindukusch

21. Dezember 2017

Transnationales Theaterprojekt „Malalai – Die afghanische Jungfrau von Orléans“ in Bochum – Auftritt 01/18

Lasst uns berichten von einem Theater in Kabul, in dem im Dezember 2014 während eines Theaterstücks mitten im Publikum eine Bombe explodierte. Eigentlich sollten die afghanischen Schauspieler bereits im letzten Jahr in Deutschland mit einem Projekt („Kula – nach Europa“, das dann doch ohne sie stattfinden musste) auftreten können, doch das Kabuler Azdar-Ensemble (ihr Theater ist natürlich geschlossen) durfte da einfach nicht einreisen. Erst 2017, als Weimarer Bürgerinnen und Bürger dafür bürgten, dass die sechs Darsteller auch zurückkehren, durften die Männer ohne ihre Frauen (die quasi zusätzlich als Pfand in Afghanistan zurückbleiben mussten) zum diesjährigen sommerlichen Kunstfest kommen. Erstaunlich, im christlichen Advent hat das Ensemble sogar das Bochumer Schauspielhaus mit ihrem transnationalen Projekt „Malalai – Die afghanische Jungfrau von Orléans“ erreicht. Immer noch ohne Frauen, versteht sich, aber inzwischen mit etwas mehr Hoffnung auf Fortsetzung der Zusammenarbeit im Gepäck. Lange weiße Kleider schweben dafür erst einmal über die Bühne, aber es wird definitiv martialischer werden. Dafür bürgt Friedrich Schillers Opus in der Version von Dramaturgin Julie Paucker und Regisseur Robert Schuster mit Übertiteln, obwohl nah am Original (die Damen und Herren Lehr-Avatare deutscher Leistungskurse dürften beruhigt sein, und – das Ensemble weiß natürlich auch, wie man an deutschen Theatern „gehaltvoll und überzeugend“ stirbt), doch mit einer ganz neuen Spiegelung von Personen und Ereignissen.

Was in den Kammerspielen als erstes auffällt, ist die schöne Bühnenmechanik. Neun Schieberollen-Metalltafeln bilden Räume, Mauern und Klangskulpturen, die zwischen leisem Schaben und donnerndem Scheppern die gesamte Lautstärke-Bandbreite transportieren. Hier formen die Schauspieler von Azdar Theater mit der Kula-Compagnie ihre Version des Jeanne-d´Arc-Mythos, die als dreiteilige Version durch die französische Geschichte wütet. Neben der historischen Figur der Malalai von Maiwand (einst Sanitäterin im Unabhängigkeitskrieg von 1880 gegen die britische Kolonialmacht) steht hier auch die Geschichte von der Schülerin Malala Yousafzai, die von den Taliban eine Kugel in den Kopf geschossen bekam, überlebte und den Friedensnobelpreis erhielt, weil sie nicht auf Rache sann, und Malalai Joya, eine junge Politikerin, die das Aushängeschild eines neuen, freieren Afghanistan ist und aktuell auch gegen die Abschiebepraxis europäischer Staaten kämpft. Alles das transportieren die durchchoreografierten Szenenfolgen, die dem eigentlichen Schiller-Stück folgend aber auch immer  aktuelle Entwicklungen einmischen und so nicht nur für etwas Verwirrung im Publikum, sondern auch für einen exzessiven Gebrauch der Übertitel sorgen. Wer sollte sonst dem Hebräisch der Israelin Hadar Dimand folgen, die als eine der drei Jeanne d´Arcs auch die deutsche Geschichte thematisiert.

Das babylonische Sprachgewirr erzeugt auch ein mystisches Muster, die Authentizität der Azdar-Spieler und die von Robert Schuster genau gezeichneten Figuren lassen selbst in drei Stunden keine Langeweile aufkommen. Wie denn auch, das Thema Vergebung ist nicht nur im christlichen Abendland einer Kontroverse wert. Wenn einer der Afghanen in die Rolle des Attentäters springt, während die anderen die T-Shirts in den Händen halten, die sie beim Bombenanschlag getragen hatten, dann werden aus der Kontroverse schnell internationale Blickwinkel, die sich um ein Tabu winden. Ob die deutschen Schauspieler, immer die britischen Besatzer und Besserwisser, das nicht zu stark wieder relativieren, weil man bei ihnen die Texte im Angesicht der Mimik versteht, spielt eigentlich keine Rolle. Das Theater-Konstrukt und Schillers Jungfrau bleiben universell und die Inszenierung führt zu neuen Bewertungen. Emotional hat sie die Zuschauer auch erwischt, die nach dem vielen Translations-Kopfnicken erschöpft scheinen, dennoch begeistert applaudieren. Gewinner des Abends war sicherlich Friedrich Schillers Hauptfigur, die erstaunlich viel zeitgenössische Schärfe entwickelte und sich so politisch korrekt vom Ritterspiel-Sentimentalen des 19.Jahrhundert lösen konnte. 

„Malalai – Die afghanische Jungfrau von Orléans“ | R: Robert Schuster | Fr 19.1., So 21.1. 20 Uhr | Akademie der Künste, Berlin | 030 200 57 10 00

PETER ORTMANN

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