Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Denkste. Auch wenn Sibylle Broll-Pape ihren „Othello“ quasi unter dieses Motto stellte, löste die Inszenierung diese Anfangsbehauptung nicht ein. Die Geschichte um den farbigen Söldner, der sich, hoch dekoriert im Dienste Venedigs stehend, in die reiche Kaufmannstochter Desdemona verliebt, sie heimlich heiratet und durch üble Intrigen mit ihr Schiffbruch erleidet, der sich von Freunden und Feinden und auch im Prinz-Regent-Theater dauerhaft mit „Neger“ beschimpfen lassen muss, obwohl er eigentlich ein netter Typ ist, der nur wegen der schwarzen Schuhcreme im Gesicht ein bisschen anders aussieht, dann stellt sich natürlich die Frage, ob es reicht, Shakespeares Rassismus-Drama in eine moderne Umgebung zu hieven und alle halbwegs moderat ihre von der damaligen Gesellschaft zugewiesenen Stände herunterspulen zu lassen. Es reicht offensichtlich nicht ganz.
Man könnte meinen, der Prinz-Regent-„Othello“ hätte sich in den „Sommernachtstraum“ verlaufen, so sehr versucht die Regisseurin, das Animalische im Menschen im Hintergrund zu zelebrieren, quasi als Ursachenforschung zwischen Evolution (der ab und zu auftauchende schwarze Gorilla) und Raubtierzwang (Raubvögel in allen Schattierungen auf der Videofolie). Das ist keine schlechte Idee, doch ist der Kontrast zwischen visuellem Bühnenbild und szenischer Handlung auf der Bühne zu groß, wirken die Schauspieler alle ziemlich blass vor der natürlichen Urgewalt, bis auf einen (natürlich der mit der Schuhcreme im Gesicht), der das Blackfacing unnötigerweise wieder in den Vordergrund spielte. Berlin hat bekanntermaßen das gesamte letzte Jahr darüber debattiert. Resümee: Nein, wir wollen keine „Minstrel-Shows“ mehr. Das sollte auch in Bochum gelten.
Ansonsten bleibt die Inszenierung, die nach „Kabale und Liebe“ und „Anna Karenina“ als dritter Teil einer Trilogie um Liebe und Eifersucht gilt, als Gesamtbild durchaus interessant, insbesondere wegen der auf „Keyword“ wechselnden Videoshow von Michel und Trixy Royeck und eines Jago von Michael Lippold, der seine Intrigen wie ein kleiner unscheinbarer Büroangestellter plant und in Szene setzt. Das passt zu den normalen naiven Menschen, die Broll-Pape erklärtermaßen zeigen wollte.
„Othello” I Sa 12.10. 19.30 Uhr I 0234 77 11 17
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