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Mit Plastikbauklötzen in die Zukunft

01. September 2009

Pottfiction Camp in Gelsenkirchen - Theater Ruhr 09/09

So ein Theater in Gelsenkirchen. Auf dem Gelände des Consoltheaters treffen sich die Jugendlichen zum pottfiction Camp. Viel Arbeit, keine Streitereien, dank eines Niederländers schon gar nicht um die Wurst.

Eine Wagenburg aus 15 LKW-Anhängern. Dazwischen bunte Zelte. Die kleine Sand-Insel mit Palme daneben. Ein paar Jugendliche relaxen auf ollen Sesselgruppen, irgendwo wummern ein paar Drums, und unverständliche Raplines wehen über das mit Wespen verseuchte Areal. Woodstock in Gelsenkirchen? Nein. Hier ist das Jugend-Camp von pottfiction, einer Mischung aus Campingplatz mit Workshops über Theater, Kunst und Zukunftsfragen. „Das Projekt ist ein Kind der Kulturhauptstadt 2010“, sagt Christiane Freudig. Sieben Theater hätten sich dafür zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. Veranstaltet werde das Camp von den Mitgliedern des Arbeitskreises Kinder- und Jugendtheater NRW, großzügig gesponsert von der Essener Mercator-Stiftung und gestaltet von der Berliner Gruppe anschlaege.de. Christiane Freudig ist nicht nur die Geschäftsführerin des Projekts, gleichzeitig ist sie auch Leiterin des Consol Theaters, auf dessen Gelände die Wagenburgarchitektur von der Gruppe Observatorium aus den Niederlanden errichtet wurde. Acht Tage lang wird der 240-Meter-Kreis von den TeilnehmerInnen gestaltet und gleichzeitig zu ihrem Lebensmittelpunkt. „Das Gerüst der Workshops steht, das andere wird sich finden“, sagt Christian Lagé, künstlerischer Leiter des Camps, und freut sich, dass bereits schon nach ein paar Tagen neugierige Jugendliche aus der Umgebung vorbeischauen. Wenn sie wollten, könnten sie auch mitmachen.

Stichwort Mitmachen. Halb zehn Uhr morgens scheint für die 120 fest Angemeldeten das Leben noch nicht richtig in die Gänge gekommen sein. Vielleicht war auch die Nacht am Lagerfeuer ein wenig lang. Dabei hat sich Wam Kat, der niederländische Koch und Öko-Aktivist, mit seinem Team alle Mühe beim Frühstück gemacht. Kaffee, Tee, Brötchen, Säfte und vegetarisches Allerlei (keine Milchschnitten trotz halb zehn), das ist eine gesunde Grundlage für die teilweise doch recht anstrengenden Workshops. So haben sich zehn Teilnehmer für den „Parcours“ angemeldet, bei dem es über Stock und Stein geht, manchmal bedächtig das Material erforschend, dann rasend schnell an den Wänden entlang. Ein Teilnehmer verletzte sich da bereits, er sitzt jetzt mit verbundenem Knöchel in der Rap- & Beatboxing-Fraktion, die sich einen Reim über das Camp gemacht haben und das ohne Mühe a capella auch mal eben vorführen können.

Mit Lego-Steinen wird auch gespielt. Die Gruppe „Legotopia“ sitzt im Keller der ehemaligen Zeche Cosolidation und denken über die Zukunft nach und wie sie in der einmal leben wollen. Zusammen mit dem Kollektiv lunatics aus Berlin haben sie bereits eine neue Religion erschaffen, die Sessel anbetet, damit soll der Hektik und dem Stress entgegengewirkt werden. Ein Prinzip von Entschleunigung eben. Der dazugehörende Tempel aus Lego steht schon auf der Fensterbank. „Hier geht es nicht darum, utopische Gebäude zu bauen“, sagt Tobias Rausch von lunatics. Heute jedenfalls ginge es über ein neues Geschlechterverhältnis. Die Teilnehmer machen gerade den willkürlichen Griff in eine Tüte mit kleinen Plastiksteinchen, jeder erhält dazu eine graue Steckplatte und los geht’s mit dem Aufbau der Zukunft. Jede Baustelle wird analysiert. Claudia erklärt Janiks, der erklärt Steffens Steinansammlung. Familie und Sex scheinen bald passé zu sein, und Frauen regieren die Welt, soviel habe ich jedenfalls verstanden und wechsele verstört den Raum.

Da die Theatergruppe im Viertel unterwegs ist und ihre Mitglieder zu Stars der Fußgängerzone werden, besuche ich mal die Tänzer. Der algerische Leiter Samir Akika kämpft gerade mit Technik und Choreografie, die Tanzeleven Lisa und Johanna mit einem Stricktuch und den Bewegungsmustern. „Das rutscht doch ständig“, mault Johanna und lässt Lisa daraufhin gekonnt zu Boden platschen. „Lass doch lieber das Tuch fallen“, rufen die Mittänzerinnen entsetzt. Drei Tage später wird die Choreografie bereits präsentiert, und es ist noch viel Arbeit bis dahin, wie es scheint. Aber Tanzkunst kommt eben auch von Können, und das braucht seine Zeit.

Ich eile weiter zu Powerplant aus Venlo/NL und denke natürlich wieder erst einmal an Coffeeshops und bin sehr gespannt. „Constructions“ heißt der Workshop und hat offensichtlich doch nichts mit Tütenbau zu tun. Eher mit Bühnenbildnerei aus Abfallprodukten, Müll und Resteverwertung. Unter der Leitung des Künstlerduos Krista Burger und Nina Thibo lernen die Jugendlichen den Umgang mit Text, Bühnenbild und Video. Die Kamera fährt dabei durch die gebauten Szenerien, und ein Beamer wirft den Film riesig an die Wand. Die Puppengeschichte hat was von Barbieworld bis Flash Gordon, mit einer Herrscherin, der langweilig wird und die die Welt zerstört, doch mit den Dinosauriern geht’s dann wieder von vorne los. Nach diesem wilden Szenario brauche ich einen Kaffee und Pause. Der Vormittag war erlebnisreich und hochinteressant, das Camp macht richtig Spaß, leider passe ich nicht in die Altersklasse. Abgesprungen ist da noch kein Jugendlicher. Wam Kat brutschelt derweil das Mittagsessen in unterschiedlichen Woks. Ich probiere mal ein vegetarisches Bällchen. Auch lecker. Doch ein fettiger Grill neben der Küchenzeile verrät: Es gibt auch eine Würstchenfraktion im Camp.

Es wird dann noch erklärt, wie es weiter geht. Im September gehen die Teilnehmer wieder in ihre angestammten Theaterhäuser zwischen Gelsenkirchen und Hamm. In Dortmund gehen sie sogar auf die Plätze, wo viele Jugendliche rumhängen, vielleicht lässt sich der oder die eine oder andere fürs Theater und die Kunst begeistern. Das nächste Camp kommt 2010 nach Herne an die Flottmann-Hallen. Das werden dann alle Ergebnisse zu sehen sein. Was danach kommt? Ich schaue in meine Kaffeetasse, doch der Prütt schweigt beharrlich.


PETER ORTMANN

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